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Weinrallye #50 – Naturwein, was ist das jetzt schon wieder?

Die Frage nach Naturweinen, einer präziseren Definition oder gar einer Abgrenzung von „BioWein“ oder Wein aus ökologisch angebauten Weintrauben ist nicht neu, auch nicht für eine Weinrallye.

Schon im Februar 2010 hatten sich die Veteranen bei der Weinrallye #30 mit „Naturwein“ beschäftigt, damals von Matthias Metze vom Social Wine-Blog ausgerufen. Heute sind wir bei der Jubiläumsrallye mit der #50 angelangt und wieder stellt sich das Thema nach dem

Ominösen ‚Naturwein‘.


Gastautor Gernot Freund von der Weinagentur les Individuels schrieb damals hier bei Baccantus einen Gastartikel über drei unterschiedliche Ansätze, und ich versuchte mich in einem anderen Beitrag an einer Annäherung an den Begriff, wohl wissend, dass es bei einem Versuch bleiben wird, da endgültige Ergebnisse sich bei einem vergleichsweise schwammigen Begriff nicht erzielen lassen. Um langweilige Wiederholungen zu vermeiden, verweise ich gerne auf diese älteren Artikel. (vlgl. Links).

Gerade auch viele Neulinge bei der Rallye haben nach meiner Vorstellung von Naturwein schlicht über Biowein im Allgemeinen und Besonderen geschrieben, und sicher waren darunter auch viele interessante Exemplare. Wenn man allerdings (und ich denke das muss man tun) Naturwein von anderen ökologisch erzeugten Weinen abgrenzt, sind viele dieser Weine streng genommen eben gerade nicht unter die Kategorie dieser Spezie zu fassen.

Da sich aber doch auch einiges in der Zwischenzeit geändert hat, gerade auch durch die neuen EU- Reformen in Sachen Biowein, fangen wir also nochmals kurz mit der Frage nach den aktuellen Definitionen an; aber auch hier verweise ich teilweise auf ältere Artikel zum Thema.

Biowein, was ist das?

Streng genommen gab es bis vor kurzem keinen Biowein in der EU, lediglich Wein aus ökologisch erzeugtem Traubenmaterial. Durch die neuen Regeln für ökologische Weine in der EU wurde für die Zukunft, also erstmalig für das Jahr 2012 festgestellt, dass Weine, die sich tatsächlich Biowein nennen wollen und auch mit dem EU-Biosiegel geschmückt werden wollen, neben der ökologischen Erzeugung der Trauben auch im Keller nach entsprechend strengen Bio-Richtlinien arbeiten müssen.
Näheres dazu hier im Baccantus-Artikel über die EU-Regeln.

Das wichtigste ist also, dass künftig auch für Verbraucher klar ist, dass Bio Wein eben nun auch ökologische Kellerwirtschaft bedeutet, womit einen Verzicht auf diverse Methoden und Zusatzmittel bzw. eine Begrenzung von technischen und chemischen Verfahren einhergeht.

Und was ist jetzt Naturwein?

Bis 1971 war dies die zulässige Bezeichnung für einen nicht mit Zucker angereicherten Wein. Nach Inkraftreten des Deutschen Weingesetzes und diverser sonstiger staatlicher, regionaler und europäischer Regelungen für Weinbezeichnungen ist der Begriff Naturwein eigentlich kein trennscharfer und zulässiger mehr.

Beginnen wir mit der Frage nach der Natürlichkeit.
Trotz idyllischer Winzerromantik und Marketing-Schönsprech ist Wein de facto kein Naturprodukt. War es noch nie und wird es nie sein. Sorry, wenn sich jetzt jemand auf die Füße getreten fühlt. Aber wenn man Wein als ein kulturelles Qualitätsprodukt betrachtet und nicht lediglich als vergorene Traubenmatsche, dann bedarf es eines gewissen Anspruches und KnowHow bei der Erzeugung des Traubenmaterials wie auch im Keller, also der Vinifikation. Für ökologisch erzeugten (Bio-)Wein, ob nun nach neuer EU-Rechtsdefinition oder nach den strengeren Regeln der Bioverbände ECOVIN oder Demeter, gilt das natürlich auch.

Weinbau ist (fast?) immer eines: eine intensive Monokultur, die mit einem starken Eingriff in den Wasserhaushalt und in die Landschaft umher geht. Wenn also der Anbau nach strengeren und ökologischeren Gesichtspunkten von statten geht, dann ist das in jedem Falle zu begrüßen. Und auch bei den vielen großen Betrieben, die bereits oder künftig auf Bio-Erzeugung umstellen, ist der überwiegende Vorteil, dass weniger Pestizide und andere Gifte in die Natur gelangen und letztlich auch in der Nahrungskette landen. Hier könnte man dann von „konventionellem Bioweinbau“ sprechen. Wenn darüber hinaus strengere Maßstäbe angelegt werden und Gegenmaßnahmen gegen Erosion, übertriebenen Wasserverbrauch und etwas für ein lebendiges, artenreiches Ökosystem Weinberg getan wird, so ist das ebenfalls ausdrücklich zu begrüßen.

Wenn im Keller ebenfalls (darum ging es vor allem bei den neuen EU-Richtlinien) ökologisch gearbeitet wird und nach einheitlichen Richtlinien, dann ist das nicht nur im Sinne des Verbraucherschutzes und der einheitlichen Regulierung ebenfalls sinnvoll.

Aber jetzt wissen wir immer noch nicht, was man unter Naturwein verstehen soll. Biowein mit noch weniger Eingriffen in Keller und Rebberg? Das Wort Naturwein kann sinngemäß nur bedeuten, dass die Herstellung des Weines möglichst natürlich erfolgt. Klar. Irgendwie halt Bio. Aber Natur?

Zur Abgrenzung von Biowein nach neuer Definition und Naturwein stelle ich mir folgende Fragen:

Ein Biowein kann durchaus „unnatürlich“ sein, sprich aus Betrieb, Monokultur mit massivem Einsatz von Technik und Chemie, solange dies eben den geltenden Richtlinien entspricht. Ob dies auch in Zukunft so sein wird kann dahinstehen, hier geben schon die Verbände die Demeter und Ecovin strengere Regeln vor. Das Schöne ist ja, dass man auch in der Biowein-Szene eine enorme Breite an verschiedenen Philosophien findet. Und es sind nicht immer nur die Kleinen und Kleinstbetriebe, die bemerkenswerte Weine hervorbringen, auch das muss mal gesagt werden.

Ist also jeder Demeter bzw. Ecovin-Wein automatisch ein Naturwein?
Darüber lässt sich freilich streiten, nach meinem Dafürhalten jedenfalls schon eher, als ein lediglich Biozertifizierter Wein.

Kann ein Naturwein mithilfe von Aroma/ -Reinzuchthefen erzeugt werden oder ausschließlich in Spontanvergärung bzw. mit Keller/Weinbergseigenen Hefen?

Über das Thema Spontanvergärung und Reinzuchthefen lässt sich herrlich streiten. Geht man über den Biowein-Begriff hinaus und redet von Natur- bzw. „Natürlichen Weinen“ und ich bin wahrlich kein Fan von diesem Begriff), so sollte man hier auch konsequent sein und auf „betriebsfremde“ Hefen verzichten. Der Kellermeister sollte freilich sein Handwerk verstehen…

Muss ein Naturwein unfiltriert sein, oder anders herum: kann ein Naturwein gepumpt und gefiltert sein? Und Umkehrosmose? Andere massive physikalische Verfahren?

Ein erklärter Verzicht auf massive Eingriffe durch Erhitzung, Filterung, Schönung und ähnliche Verfahren sollte bei einer Definition von Naturwein nicht fehlen, manches versteht sich von selbst.

Darf Naturwein ent- oder gesäuert werden?

Säuern oder Entsäuern sind ebenfalls massive Eingriffe in den Wein. Es gibt Jahre, in denen es in manchen Regionen erforderlich erscheint, dies trotzdem zu tun, man denke nur an 2010 in großen Teilen Deutschlands. Andererseits kann sich auf den Standpunkt stellen, dass ein Naturwein eben gerade auch durch die Natur geprägt wird und es somit auch durch die jahrgangsbedingten Witterungsunterschiede zu natürlichen Unterschieden der einzelnen Jahrgänge kommt. Würde ein Rheinhessischer Riesling aus 2010 genauso schmecken wie aus 2011, zu lässt sich dies kaum mit natürlichen Vorgängen erklären… vergessen sollte man allerdings auch nicht, dass das ganze Zeug auch verkauft und bestenfalls getrunken werden soll.

Darf er überhaupt in Holzfässern ausgebaut werden? Viele sehen zwar das Barrique als natürlicher an, als die Vergärung & Ausbau in Edelstahltanks, aber letztlich kommen darüber mehr weinfremde Aromen in den Wein.

Gute Frage. Ich bin persönlich der Ansicht, dies ergebnisorientiert zu beurteilen. Wenn ein Wein durch Lagerung in gebrauchten Barriques gewinnt, OK, aber ein Zuholzen mit Chips, Sticks oder neuen, stark getoasteten Fässern? No thanks! Ob es jetzt aber unbedingt Amphoren oder Betoneier sein müssen, nun gut. Denken wir ergebnisorientiert.

Darf er geschwefelt werden und wenn ja wie?

Wieder so ein Streitthema. Sinnvollerweise wurden die zulässigen Schwefelzusatzmengen im Laufe der letzten Zeit stark reduziert. Wichtig ist auch der Zeitpunkt der Schwefelung vor der Abfüllung bzw. wie diese funktioniert. „Abfüllung schwefelfreier Weine unter Schutzgas“ – das klingt jedenfalls spannend, ob es aber natürlich ist? Nun gut. Was wir auf jeden Fall nicht brauchen sind untrinkbare, instabile Weine, am besten mit einem Essigstich.

Und ich so:

Eine Art persönliches Fazit zum Thema Naturwein. Natürlich ist dann gut, wenn das Ergebnis gut ist. Ich habe auf diversen Veranstaltungen Bioweine getrunken, die hochgradig natürlich waren, leider aber untrinkbar. Ich habe aber auch ein paar der spannendsten Weine in dieser Szene gefunden und ein paar der sympathischen Winzer. Natürlich heißt für mich: Weglassen von Überflüssigem, nicht mehr als nötig tun, Respekt vor Natur und Mensch, aber auch von Herkunft und Tradition. Dazu gehört aber auch etwas, was vielen heute zu fehlen scheint: Zeit!
Zeit im Weinberg und bei der Lese, bei der Gärung, aber auch beim Weingenuss. Viele der Weine, die ich liebe, brauchen viel Zeit, d.h. man muss / sollte sie ein paar Jahre liegen lassen und man sollte sie Stunden vor dem Genuss öffnen, und über einen längeren Zeitraum trinken. Sonst entgeht einem ein nicht unerheblicher Teil der Genuss-Dimension, eben die Zeit…

Beispiele von Weinen und Winzern

Seit Jahren gehören für mich diese Österreicher dazu: Strohmeier, Ewald Tscheppe vom Weingut Werlitsch und Sepp Moser, sowie Muster. Überhaupt fallen mir neben Südfrankreich immer zunächst die Österreicher ein. Gerade Strohmaier scheint die Erzeugung von Naturweinen, die über die Regeln des ökologischen Weinbaus hinausgehen, stark verinnerlicht zu haben, auch in Sachen Schwefel. Dazu gehören auch Winzer wie Gottfried Lamprecht vom Herrenhof, auch wenn er bisher nicht in zertifizierter Form arbeitet.

Neuerdings in macht auch das Weingut Kiefer aus Eichstetten am Kaiserstuhl auf Grün, und das sogar ungeschwefelt in Bio-Qualität… auch die Großen können es also. Den Wein, einen Spätburgunder QbA, habe ich auf der ProWein verkostet und für gut befunden. Hier bewegt man sich freilich in einem spannenden Diskussionsprozess:
Bio und ungeschwefelt, aber natürlich? Stickstoff und Kohlensäure schützen vor Oxidation bei Verwendung von modernster Fülltechnik… HighTech meets Nature 😉

Weitere Kandidaten wären für mich Tom Lubbe/ Domaine Matassa in Calce, Château Pech-Redon in La Clape, Domaine Tripoz im Burgund, um nur einige zu nennen. Der Patrick Meyer von der Domaine Julien Meyer im Elsass ist natürlich auch so ein Fall… ein guter übrigens. Auch er schafft mit minimalem Einsatz von Schwefel, manchmal sogar ganz ohne. Und seine Weine sind einfach nur gigantisch gut.

In Deutschland fällt mir immer der Jochen Beurer aus Stetten im Remstal ein. Nicht nur, weil er einige der besten Würtenberger Rieslinge produziert, sondern auch weil er eben in Sachen Wein sehr naturnah denkt und arbeitet, die Qualität dabei aber auch stimmt. Auch er hat das ein oder andere ungeschwefelte Projekt am Start, inzwischen ist er sowohl EcoVin- als auch Demeter-zertifiziert. Und er macht genau das, was es eben auch ankommt: gibt den Weinen die Zeit, die sie brauchen, auch wenn dann mal was ausverkauft ist.

So, und jetzt genug davon, ab in die Sonne auf den Balkon zum Aperó!

Zum Thema ökologischer vs. Bioweinbau und den neuen EU-Regeln hier im Blog:

 
 

Beiträge zur Weinrallye #30 mit Thema Naturweine hier bei Baccantus:

2 Kommentare

  1. na, da sind wir ja praktisch Hand in Hand als letzte über die Ziellinie gekommen – und unter Anwendung ganz ähnlicher Techniken;-) – ich bin jetzt platt, deshalb verschiebe ich die Diskussion über einige Punkte in Deinem Artikel, zu denen mir spontan noch was einfällt (und auch die Frage, seit wann Puech Redon zu den Naturweinwinzern gehört…) auf später. Vielleicht nachdem ich den Wein von Julien Meyer getrunken habe, den mir am Wochenende ein netter Kunde aus dem Elsass mitgebracht hat:-).

  2. muss ja ein netter Kunde aus dem Elsass sein! 😉
    Und es gibt ja einige Winzer, bei denen man nicht die ganze Palette ihres Sortiments unter diesen schwammigen Begriff subsumieren kann, sondern nur einzelne Weine…

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