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Vinhos & Circenses

Brot ? Nö, Wein und Spiele!

Mein Freund Guido von Tric Trac hatte vor kurzem das Vergnügen, ein Brettspiel testen zu dürfen welches es uns allen ermöglicht, einem lang gehegten Traum nachzugehen –
dem Traum einmal selbst ein Winzer zu sein, und sei es auch nur für ein paar Stunden.

Allein dies finden wir schon einer Berichterstattung würdig und wollen es Euch daher nicht vorenthalten. Im Folgenden nun also die Besprechung des Brettspiels Vinhos als Baccantus-Gastbeitrag von Guido. Ich denke, dass damit unterm Weihnachtsbaum der nächste Weinabend mit Freunden um eine unterhaltsame und komplexe Facette bereichert werden kann,  so die Weine nicht schon komplex genug sind! 😉

Viel Spass beim Lesen – über Rückmeldungen nach dem ersten Anspielen freuen wir uns natürlich!

Organoleptische Prüfung

Geschrieben von Guido, Donnerstag, 25 November 2010


Neu im Regal: Vinhos

Wein trinken kann jeder: Korkenzieher raus (wenn nicht Aldi-Schraubverschluß vorgefunden), Plopp! Flasche auf und rein in den Hals. Kennt ja jeder aus der Studizeit. Wie schwer die Produktion von gutem Wein aber ist, das weiß kaum jemand. Dazu muss man schon Weinberge rauf- und runterlatschen, in kühlen Weinkellern stehen oder – um den Verkauf anzukurbeln – sich um den Vertrieb kümmern. Das Leben als Weinproduzent ist hart und Vinhos (portugiesisch für „Wein“) hat mich gelehrt, von nun an jeden Winzer mit einer demütigen Verbeugung zu grüßen.

Vinhos ist eine Messeneuheit vom italienischen Verlag „What’s You Game?“ und über Hutter Trade ganz neu verfügbar. Es war zusammen mit Grand Cru (Eggert) nicht nur eines der beiden heiß erwarteten Wein-Spiele, sondern auch, trotz produktionsbedinger Abwesenheit, eines der Messe-Hypes. Ob es die Lorbeeren verdient hat? Dazu reiche ich die Tastatur an meine beiden Mitarbeiter weiter:

Good Guido:

Wie ein guter Wein ist Vinhos ein Meisterwerk. Komponiert aus feingeschliffenen Mechanismen, die der geneigte Vielspieler stetig in Bedacht halten muss, und einem starken Thema. Im Verlauf von sechs Jahren zeigen die Spieler ihr Talent als Weinproduzent. Sie erwerben in den verschiedenen Regionen Portugals Weinberge: Was hier wächst, kann durch ein Weingut, das am besten noch von einem Diplom-Önologen betreut wird, und einen dunklen Weinkeller an Qualität gewinnen. Die Weine werden lokal verkauft, um das Bankkonto zu füllen und somit in seinen Aktionen flexibel zu bleiben. Oder für Siegpunkte ins Ausland exportiert. Bleiben die Weine einfach liegen, werden Runde um Runde aus den guten Tropfen noch bessere. Dreimal findet zudem eine Weinmesse statt, auf der die Spieler eines ihrer Produkte in zwei der vier Kategorien Geruch, Geschmack, Alkoholgehalt und Aussehen bewerten lassen. Auch dies bringt Siegpunkte. Schließlich gibt es noch drei Manager, deren Wohlwollen man sich sichern kann, um Zusatzaktionen oder Siegpunkt-Multiplikatoren zu generieren.
Wie man schon bemerkt, nähert sich Vinhos einer Wirtschaftssimulation von der önologischen Seite. Als erfolgreicher Winzer muss man die zahlreichen Faktoren streng im Blick haben und insbesondere ein gutes Gleichgewicht finden, um erfolgreich abschneiden zu können. Übertriebenes Davongaloppieren in eine Richtung kann gefährlich werden, wenn der Gaul durchgeht. So muss man beispielsweise wie beim Eisenbahn-Wirtschaftsspiel Steam auf der Bank genau wissen, wieviel Geld man aus dem Konto ziehen möchte. Zu wenig schränkt ein – man kann sich nicht ausreichend bewegen oder kaufen, was man möchte. Zu viel ist auch schlecht, denn Bargeld bringt am Ende nur einen feuchten Händedruck. In der Bank sind das allerdings Siegpunkte.
Jeder Spieler hat insgesamt nur 12 reguläre Aktionen und sollte schon wissen, was er da tut. Setzt man auf rare Qualitätsweine, die hohe Preise erzielen oder geht auch das billige Zeug, dafür in Masse? Je nach Spielstil liegt der Königsweg irgendwo dazwischen.
Das Erscheinungsbild von Vinhos schafft den Spagat zwischen Übersichtlichkeit und Ikonografie. Die zahlreichen Elemente sind logisch verteilt, die kleinen Symbole und ihre Bedeutung hat man sofort klar zugeordnet. Die Illustrationen passen schön zum Thema. Doch sehr malerisch, dieses Winzerleben; mit weitläufigen Weinhängen, idyllischen Grundstücken und einem Städtchen wie von den Sims, in dem der Wein verkauft wird.
Die Faktoren für einen erfolgreichen Weinanbau sind so, wie wir Laien uns das vorstellen: Die Trauben, per se gleichwertig, gewinnen an Qualität durch gutes Wetter, die fachmännische Lagerung, Reifung und die Region, aus der sie stammen. Da ist der berühmte, hochwertige Portwein von den steilen Berghängen des Douro oder die alten Rebsorten aus der Region Trás-os-montes, die bei Ausstellungen sehr gefragt sind. Das Thema ist ganz dicht und mal lernt nebenbei etwas über die Weinkultur Portugals.
Für den Einstieg empfehle ich eine kurze Probepartie, um sich mit den Möglichkeiten vertraut zu machen. Regeldetails können später nachgeschlagen werden, wenn beispielsweise die Ausstellung beginnt. Das Regelheft nimmt die Spieler an die Hand und hilft durch seine zahlreichen Beispiele.

Evil Guido:

Vinhos schmeckt sauer wie ein Riesling von Sylt. Den Mechanismus gibt es nicht. Er ist eine Ansammlung von Mechanismen und Mini-Spielen im Spiel. Man muss schon drei Partien hinter sich gebracht haben, um das Uhrwerk zu verstehen. Wenn, ja wenn man dazu das große Glück hat, dass die Mitspieler nochmal Ja sagen und sich nicht erneut an ein Regelmammut ketten wollen. Das macht es schwer, Vinhos zu mögen. Der erste Eindruck zählt, sonst wird es gnadenlos von der Konkurrenz verdrängt.
Vinhos verlangt von einem Spieler sehr viel. Familien werden sicherlich einen Bogen darum machen und selbst hartgesottene Vielspieler kauen daran ordentlich, sie lieben aber diese Herausforderung.
Man hat das Gefühl, der Autor wollte unbedingt noch hier und da ein Feature einfügen. Dadurch verliert das Spiel an Lebendigkeit und Freude, gewinnt dafür aber den attraktiven trockenen Aktenmuff eines Finanzbuchhalters. Wir haben ein eckiges Rondell (mehr dazu hier) in der Mitte, über das wir uns bewegen; wer bei einem Mitspieler landet, übergroße Distanzen überfliegt oder beim Rundenmarker (ja, Aktionsbereich und Rundenzähler sind eins!) stehen bleibt, muss zahlen. Der Ausstellungsbereich, auch die „Hundeschau“ genannt, hat ihre eigene Punkteleiste – zusätzlich zur Siegpunktleiste am Spielplanrand! Leiste in Leiste! Auf der Bank kann man Geld ein- und auszahlen und auch Investieren, um stetig Kapital zu generieren. Der Managerbereich ist ein Geheimnis für sich, denn den Zutritt zu Herr A., Frau B. und Herr C. bekommt man nur, wenn man auf der Ausstellung den richtigen Wein zeigt. Zum Benutzen des Managers muss man ihm nochmal  – irgendeinen – Wein bezahlen. Die Weinexperten wiederum haben zwei Fähigkeiten, einmal ein kleines Schmankerl für eine Aktion oder aber er stellt seine Kompetenz bei der Ausstellung zur Verfügung. Wein verkaufen, Wein exportieren… alles hat seine kleinen Sonderregeln. Vinhos suggeriert ungezählte Möglichkeiten, schnürt aber das Korsett der Spieler derart zu, dass kaum noch Luft für Spielspaß ist.

Vielen Dank, die Herren. Wie man sieht, vermag Vinhos zu polarisieren. Man mag es oder man mag es nicht. Zweifellos haben „What’s Your Game?“ die Produktlinie, die sie mit Vasco Da Gama begonnen haben, konsequent ausgebaut. Ob sie es aber übertrieben haben, muss jeder für sich selbst wissen. Dazu empfehle ich zunächst die Lektüre der Regel. Vinhos ist Arbeit, unbestritten. Das Spiel ist nicht leicht wie ein Sauvignon Blanc, es besitzt vielmehr die Schwere eines Spätburgunders. Körperreich ist es allemal und jeder sollte es degustieren, der sich mit dem Thema Wein in einem anspruchsvollen Wirtschaftsspiel beschäftigen möchte.

Vinhos ist ein Spiel von Vital Lacerda
Erschienen bei What’s Your Game,
Vertrieb: Hutter Trade
Für 2 bis 4 Önologen ab 12 Jahren
Preis: Rund 40 €

Alles Rund um „Die Bretter, die den Spielspaß bringen“ findet ihr täglich neu bei Tric Trac! Es lohnt sich!

http://de.trictrac.net/

Und für die Frankophilen:

http://trictrac.net/

3 Kommentare

  1. also ich kenne ja durchaus ein paar schwere Sauvignon Blancs und federleichte Spätburgunder, denen ein bischen mehr Körper gut zu Gesichte stünde… 😉

  2. Stefan, Matthias – ihr seid gerne auch zur spielerischen Weinprobe eingeladen!

  3. Aber Gerne doch! Wann hättest Du Zeit?

Kommentare sind geschlossen.