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Reifes und Überreifes

Zum schönen Thema reifer Wein zu dieser #45. Weinrallye-Etappe bei Drunkenmonday zunächst ein paar Takte zu alten und gereiften Weinen an sich.

Jungwein-Wahn hin oder her, Fakt ist, dass viele Weine, egal ob rot oder weiß, heute so produziert werden, dass sie schon recht schnell trinkbar sind. Fakt ist auch, dass viele Kunden (und auch manche Verkäufer…) kein gesteigertes Interesse daran haben, sich den (dafür meist auch nicht wirklich geeigneten und meist viel zu trockenen) Keller mit Flaschen vollzupacken, die sie erst in 5-15 Jahren trinken werden können. Noch ein Fakt: Viele Weine sind nach dieser Zeit nicht nur verstaubt, sondern nahezu untrinkbar geworden, was nicht nur ausschließlich für die günstigsten Exemplare gilt. Im übrigen ist auch nicht alles, was alt ist gut – ein einfacher Trinkwein wird auch nicht dadurch zum Cru, dass man ihn 20 Jahre in Omas Keller verschimmeln lässt, auch wenn solche Weine mitunter noch trinkbar sein können. Manchmal. Ganz manchmal…

Get them while they’re young!

Das wurde mir neulich wieder bewusst, als ich eine Riesling Spätlese 2009 probierte, die im ersten halben Jahr nach der Füllung wunderbar frisch mit erstaunlicher Aromenfülle daherkam, aber schon in der Weihnachtszeit einen Großteil ihres jugendlichen Charmes verloren hatte, zudem sich aber auch in der Zwischenzeit (letzte Woche…) keine angenehm runden Reifetöne hinzugesellt haben. Wein als lebendiges Produkt hat (fast) immer eine gewisse Genusskurve mit einem Klimax (manche auch mehrere…) und in der Tat werden viele Weine viel zu jung getrunken, so dass dem Trinker der eigentliche Höhepunkt entgeht. Große Bordeauxweine weit vor ihrer Zeit zu trinken ist oftmals nicht nur eine erhebliche Ressourcen-Verschwendung, sie sind in ihrer Jungend oft derart verschlossen und strotzen vor kräftigen, noch nicht eingebundenen Tanninen, dass sie schlicht keinen wahren Trinkgenuss bieten können, sondern allenfalls eine Vorahnung davon, blaue Zähne inklusive.

Meine ersten großen Weingenusserlebnisse verbinden sich mit gereiften Weinen aus dem Burgund, oftmals deutlich überlagert und mit dem Ergebnis, dass man drei gleiche Flaschen öffnete, eine müffelte und eine Essig oder ‚Sherry’ war. Die dritte allerdings bot dann einen Schmelz von Milch und Honig… (im übertragenen Sinne, versteht sich) seitdem bin ich jedenfalls dem Pinot Noir verfallen. Pinot Noir kann, muss aber nicht altern können. Während große Jahrgänge und von entsprechenden Erzeugern auch im hohen Alter mit unglaublich komplexer Aromenvielfalt aufwarten können, wirken andere bereits nach 10 Jahren greisenhaft und verstaubt oder einfach nur muffig oder flach.

Dieser 2000er Volnay Clos des Chênes, Nuits-Saint-Georges überzeugt, obwohl nicht aus einem der ganz großen Jahrgänge. Etwas verhalten am Anfang, entwickelt er sich im Laufe des Abends immer voller im Glas und zeigt gereifte Noten, die ihn fast schon älter als 2000 erscheinen lassen, vielleicht besagter suboptimalen Lagerung geschuldet? Ein klarer Fall: Muss getrunken werden! Preiselbeeren, Veilchen und Kakao, dazu eine prägnante Säure, nicht zu viel aber spürbar, etwas Pflaume mit Zimteis, eher der schlanke als der oppulente Pinottypus. Keine vordringlichen Holztöne, etwas anderes wäre nach über 10 Jahren auch eine Enttäuschung. Ein großer Genuss, allerdings ohne den letzten Pfiff zur wahren Größe.

Eine schöne „Altherrenshow“ mit gereiften bis uralten Pinots ergab sich letztes Jahr am Vorabend der 3. Twitter Wine Awards in Weingut Kiefer.
Star war ein Aßmannshäuser Höllenberg von 1926, der einige der jüngeren Kandidaten hinter sich lassen konnte…

Vin Jaune

eine Spezialität aus dem Jura, die aus der Rebsorte Savagnin Blanc gekeltert wird. Dieser Verwandte des Traminers wird zumeist hier angebaut, aber auch im Schweizer Wallis kennt man die uralte markante Sorte unter dem Namen Heida, wo er auch in den höchsten Weinbergen Europas in Visperterminen angebaut wird. (ein schönes Exemplar Heida von Madeleine Gay aus der Kollektion der Weinautorin Chandra Kurt und gibt’s grad übrigens bei TVino).

Vin Jaune ist sicher nichts für jedermann und wird in Deutschland sicher nur im Promillebereich abgesetzt. Aber ein lohnendes Experiment für Menschen mit Zeit. Viel Zeit. Vin Jaune gehört zu den alterungsbeständigsten Weinen überhaupt. 10-15 Jahre sind kein Thema und selbst über 20jährige haben oft noch einen fast jugendlichen Charme.

Tissot Arbois 2000

Ich hatte das Vergnügen, mit dem Erfinder der Weinrallye, Winzerblogger Thomas Lippert,  vor wunderbarer Bodensee-Kulisse ein Exemplar aus dem Jahr 2000 vom renommierten Winzer Stéphane Tissot aus Montagny-les-Arsures bei Arbois zu verkosten. Auffallende Gelbfärbung, der Name ist Programm. Die dicken Clavelin-Flaschen mit 62cl wirken ungewöhnlich, sind aber durchaus üblich und für diese regionale Besonderheit auch zulässig.

Zunächst recht verschlossen wurde er mit steigender Temperatur und Öffnungszeit immer gefälliger, am späteren Abend zu einem schönen Stück Iberico perfekt. Uns beiden fehlte ein Tick Restsüße, was dem ungemein würzigen Trunk einen schöneren Schmelz gegeben hätte, auch wirkte er mit seinen 11 Jahren durchaus noch recht jugendlich frisch. Prägnante Säure, nussige Töne, etwas Dörrobst und trockene Backpflaumen, mit der an Sherry erinnernden oxidativen Note, auch wenn der Vin Jaune freilich nicht aufgesprittet wird. 14,5 Vol% Alkohol sind weniger, als man dem ersten Eindruck nach meinen würde, aber die haben es in sich. Käse! Dieser Wein ruft laut nach würzigem Käse und kann es sicher auch mit so manchem Stinker aufnehmen. Eine Entdeckung, die es verdient, sich intensiver mit ihr zu beschäftigen. Allerdings kein Wein für easy drinking… dafür aber ein perfekter Essensbegleiter.

Rivesaltes

Vins Doux Naturel Blanc de Rivesaltes, Cuvée Aimé Cazes 1978

Noch eine gereifte Spezialität aus Frankreich, diesmal aus dem Süden: mein ältester AOC Rivesaltes… ein Traum. 22 Jahre in alten Fuderfässern aus Eiche gereift, mit einem Schwund von ca. 7% jährlich… 80% Grenache Blanc, 20 % Grenache Noir. 15 % Vol bei 110 g/L Restzucker. Wer jetzt an pappige Süße denkt, liegt voll daneben.
Nüsse, Rosinen, mit dem duft frischer, reifer Feigen (nicht das Zeugs aus dem Supermarkt hierzulande) und allerhand Dörrobst, ein Hauch Bitterorangen und exotische Gewürze, dazu ein himmlischer Schmelz mit dem typischen Goût du Rancio des oxidativen Ausbaus.
Perfekt als Dessertwein, gerade auch zu Caramelgebäck oder auch feinen buttrigen Kreationen. Man könnte auch phantastische Saucen montieren oder eine Crème Brûlée oder Crème Caramel damit verfeinern, aber… nun gut, der 3. Stern hat seinen Preis! 😉
Unter den aufgespritteten Weinen sicher nicht das Schlechteste…
Ach ja, das berühmte Renommierweingut Cazes arbeitet übrigens seit vielen Jahren biologisch-dynamisch (1978 allerdings noch nicht;-) und gehört zu den Pionieren unter den Bio-Qualitätswinzern im Languedoc-Roussillon. Der Aimé ist sicher kein Schnäppchen, aber man kann auch viel Geld für langweiligen Cognac ausgeben… eine ebenfalls empfehlenswerte und deutlich erschwinglichere Variante aus dem Hause ist der Cazes Rivesaltes Ambré.

Die Artikel der weiteren Weinrallye-Teilnehmer werden wir hier wie gewohnt bei Baccantus verlinken.

 

Die Kollegen schrieben zur Weinrallye #45:

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2 Kommentare

  1. Toll, der Vin Jaune von Tissot! Ich denke auch immer, ich müsste sowas öfter trinken, aber dann ist es mir meist ein wenig zu teuer (die Vins Jaunes liegen meist so zwischen 30 und 40 €), obwohl der Wein das absolut wert ist. Die Größe des Clavelins ist übrigens kein Zufall, sondern bildet den Schwund ab, dem der Wein bei der Lagerung unterliegt. Über sechs Jahre im Fass ohne Auffüllen, da geht einiges in die Luft… Ich glaube, der aktuelle Jahrgang bei Stéphane Tissot ist gerade der 2004er. Hab mich jedenfalls sehr gefreut, bei Euch über den Wein zu lesen.

    Viele Grüße, Matze

  2. Danke Matze!

    Gerade gelesen: die Domaine Bénédicte et Stéphane Tissot ist mitlerweile Demeter-zertifiziert. Seit 1995 haben sie angefangen mit der Umstellung auf Bio, seit 1999 Bio-zertifiziert und seit 2004 arbeitet man biodynamisch mit Zertifizierung…

    Das mit den Clavelins scheint wohl eine „Glaubenssache“ zu sein, die der Winzer Stephane Tissot lange recherchiert hat, und nicht belegen konnte. Die 62cl sind aber sicher ein altes spanisches Hohlmaß, dass wohl auch in der Bierbranche Verwendung fand (und teils findet).
    Angeblich kam auch die Methode des Vin Jaune mit den starken Temperaturschwankungen aus Spanien…
    Das mit den Preisen geht mir auch so… 😉
    Gruß retour, Stefan

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