Kultur und Wein? Schon wieder WeinRallye… und das im (Kultur-?Wein-?) Urlaub…
Ist Wein nicht bereits Kultur genug aus sich selbst heraus und müssen wir dieses Kulturgut nicht gegen die fortschreitende Barbarei in dieser meist wein- und auch sonst freudlosen Welt verteidigen? Ist Wein nicht von Anbeginn Begleiter wie Bereiter der Zivilisation an sich gewesen?
„Weine sind oft unmittelbar mit der Geschichte und dem kulturellen Erbe verbunden. Diese Verbindung ist Thema dieser Weinrallye“ – und diese 98ste Ausgabe wird dieses Mal präsentiert und zusammengefasst von Jasmin Koch auf dem Wein-Reich-Blog.
Wein küsst Kulturerbe? Wo ich bin, sind Wein und Kultur meist in der Nähe. Manchmal wird auch geküsst. Versuchen wir es zu diesem Anlass also mit einer kleinen Wein-Kulturreise von den Griechen über Südfrankreich zurück an den heimischen Bodensee.
WO ABER DER WEIN FEHLT, STIRBT DER REIZ DES LEBENS.
Euripides, alter Grieche (480 – 407 v. Chr.)
Recht hatte er, der alte Grieche. Und wer möchte schon reizlos leben? Möchte man überhaupt leben fern von Reben? Man sollte an dieser Stelle vielleicht erwähnen, dass Euripides quasi der geistige Vater von Baccantus.de ist, da er mit seinem Werk „Die Bakchen“ bzw. die Bacchantinnen den Verehrerinnen des Gottes Dionysos bzw. lat. Bacchus ein literarisches Denkmal gesetzt hat.
Damit sind wir schon bei der Hochkultur, während ich an der Rhône zu Fuße der Dentelles de Montmirail mit Blick auf den Mont Ventoux zwischen Weinglas, Laptop und Kleinkindern hin und her hantiere. (Bisher außer Seifenblasenlauge nichts verschüttet…)
Was haben die Römer je für uns getan?
Ob nun die Phokäer die Rebe vor 2400 Jahren ins gelobte Land (Frankreich) brachten oder die Römer in ihrer Provinz Narbonensis den Weinbau zu einer über zweitausendjährigen Erfolgsgeschichte machten – fest steht, das Letztere eben nicht nur dieses taten und mitbrachten:
Den Aquädukt!*
Was man jenseits von Brian noch präzisieren sollte: DEN Aquädukt! Der Pont du Gard zählt zu den großartigsten Brückenbauwerken der antiken römischen Welt und ist heute noch eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Südfrankreichs. Architektonisch wie ästhetisch weit mehr als nur eine fast 50 km lange Wasserleitung von Uzès nach Nîmes – ein Meilenstein und etwas, was die Erbauer der Moselbrücke beim Hochmoselübergang niemals erreichen werden: UNESCO-Weltkulturerbe, und das seit 1985.
Weltweinkulturerbe? Nun gut, die Weine direkt um das Römerbrückle herum sind nicht die berühmtesten der Region. Um Arles, Nîmes, Avignon und Orange herum finden sich jedoch neben etlichen Kulturgütern von Weltrang auch so mache Weine, die ihres Gleichen suchen.
Also gut. Mal abgesehen von sanitären Einrichtungen, der Medizin, dem Schulwesen, Wein, der öffentlichen Ordnung, der Bewässerung, Straßen, der Wasseraufbereitung und der allgemeinen Krankenkassen, was, frage ich euch, haben die Römer je für uns getan?
Den Frieden gebracht? Nun, auch über die Pax Romana oder Augusta lässt sich aus Gallischer Sicht streiten. Und ob von der Weinkultur der griechischen Kolonisten aus dem 7. Und 6. vorchristlichen Jahrhundert noch unter Augustus die Römer in Massalia oder sonst wo in der Provence Provinz Narbonensis entlang der Via Domitia oder der Via Aquitania geschwärmt wurde, ist nicht überliefert, darf aber bezweifelt werden. Von den Straßen der Römer wird als Kulturgut jedenfalls heute noch gesprochen, und neben Soldaten wurde auf ihnen schon damals Wein in alle Richtungen transportiert…
Was für ein Theater
Griechen und Römer verbindet neben Rebensaft und dem Heiligen Dionysos/ Bacchus (und nicht zu vergessen ihren Verehrerinnen, den Bacchantinnen) die Liebe zum Theater. Von den antiken Modellen stehen hier in der Provence noch immer ein paar imposante Exemplare, in einigen wird auch heute noch dem gemeinen Volke aufgespielt und manch Muse geküsst. Das Stichwort war jedoch Kulturerbe, nicht die Musen:
Da wäre das Amphitheater aus dem 1. Jhd. nebst Römischen Bogen in Orange (die mit dem Oraniern der Holländer durchaus was zu tun haben… anderes Thema). Weltkulturerbe seit 1981. Zehn Kilometer südlich davon liegt der Ort Châteauneuf-du-Pape. Die Weine der gleichnamigen AOC sind möglicherweise derzeit etwas démodé, who cares. Château de Beaucastel – Perrin & Fils liegt fast direkt vor den Stadtoren von Orange – und Beaucastel ist auch eine Art Weinkultur-Erbe. Die Weine der Nachbar-Appellationen im Vaucluse, z.B. von Süd nach Nord aus Beaumes-de-Venise, Vacqueyras, Gigondas, Sablet, Séguret, Cairanne… teils als Côtes-du-Rhône Villages klassifiziert, liefern mitunter großartige Weine auch ohne die Päpstlichen Insignien der Ch9dP-Flaschenprägung, Schlüssel und Tiara, und das meist für deutlich weniger Geld. Allerdings reißt auch von den Topgewächsen aus Gigondas, der vielleicht vielseitigsten Appellation der südlichen Rhone, der ein oder andere mittlerweile die 40 €-Latte… es bleiben jedoch noch genug deutlich unter 20 €und weit darunter.
In Arles sollte man als besonderes Kulturerbe der Römerzeit noch das Amphitheater, das antike Theater, das Forum sowie die Alyscamps (elysische Felder aka Champs-Élysées?) der Römerstraße Via Aurelia erwähnen, in der an der Via Domitia gelegenen Stadt Nîmes das Maison Carrée und natürlich das dortige Amphitheater, die Arènes de Nîmes. David Gilmour spielt übrigens am 21. Juli 2016 dort – für großformatige Kultur ist also auch heute noch gesorgt.
Schon im Jahre 1137 haben die Zisterzienser den Weinbau in Gigondas und Vacqueyras unter ihre Fittiche genommen und wie anderswo auch zu einer ersten Blüte gebracht, also bereits deutlich vor dem ersten Avignon Wein-Papst Clemens V. und dem folgenden Aufschwung des Weinbaus in der Sommerresidenz in Châteauneuf.
Sur le pont d’Avignon
Mit den Palais des Papes und der weltberühmten Rhonebrücke aus dem Kinderlied, Pont Saint-Bénézet, ist der ehemalige Papstsitz von 1309 bis 1423 in Avignon mit seinen imposanten Befestigungsanlagen ein herausragendes Beispiel für das gesamte Europäische Weltkulturerbe. Europäisch auch wegen seiner besonderen historischen Bedeutung für die Katholische Kirche und damit für das historische Weltgeschehen jener Zeit. Nach den weinseligen Zeiten der Päpste im südfranzösischen Exil während des großen Schismas – Gegenpäpste, Exkommunikation… landet man schon fast wieder am Bodensee.
Und Bordeaux?
Bevor wir auf unserer Reise Frankreich verlassen, sei noch erwähnt, das die UNESCO 1999 auch das Weinanbaugebiet von Saint-Émilion selbst unter das Label des Weltkulturerbes gestellt hatte, es folgten 2015 das Weinbaugebiet der Champagne sowie die Weinregion Burgund mit einigen der berühmtesten Weinlagen der Welt. Es gibt also durchaus auch Weltweinkulturerbe im Sinne der UNESCO.
Und Konstanz?
Dem Geschichtskenner ist klar, was jetzt kommt:
Das Konzil von Konstanz, 1414-1418, derzeit also voll im 600J.-Jubiläumswahn. Einzige Papstwahl auf deutschem Boden, Ende des Abendländischen Schismas, also der Kirchenspaltung und letztlich auch der Anfang des Endes der Päpste in Avignon. Letzter Versuch einer großen Lösung vor der Lutherischen Spaltung zur Reformation gut hundert Jahre später.
Und Weltkulturerbe am Bodensee? Wein?
Beginnen wir mit dem Wein. Nicht in Konstanz, wo mit der Spitalkellerei zwar eine uralte Weinbautradition besteht, sondern in der ehem. Kaiserpfalz Bodman. (Gestern Abend habe ich mit einem netten Nachbar-Urlauber, Franzose aus dem Beaujolais, ein paar Flaschen aus Gigondas und den Ventoux-Regionen geöffnet und ihm erklären müssen, dass man in Deutschland nicht nur Bier trinkt, sondern auch zumindest seit den Römern Wein anbaut…) Diese ist zwar kein Weltkulturerbe und schon gar kein „Weltweinkulturerbe“, wohl aber die in den Alpenländern als grenzüberschreitendes Weltkulturerbe anerkannten Pfahlbauten, darunter auch die Fundstelle in Bodman-Schachen. Aus der Weinperspektive gesehen viel wichtiger: Hier wurde im Jahr 884 durch Kaiser Karl III., einen Urenkel Karls des Großen, nachweislich der erste Spätburgunder im Lande gepflanzt. (nicht nur im Ländle!) Et bien? Inzwischen hat sich rumgesprochen, dass der Pinot weniger schattige Lagen bevorzugt, man ihn also besser auf der sonnigen Meersburger Seite anbaut, aber der Anfang war gemacht.
Die Klosterinsel Reichenau stand noch vor der Erfindung des Gewächshauses zu erheblichen Teilen unter Reben. Auch hier weißt der Spätburgunder als Leitrebsorte den Weg in die Zeit der Benediktiner zurück und man blickt auf eine weit über tausendjährige Weinkultur, seit dem Jahr 2000 sind Insel und Kloster UNESCO-Welterbe. Inzwischen wird fast der gesamte Wein der Insel vom Winzerverein Reichenau gekeltert, der kleinsten selbständigen Winzergenossenschaft in Baden. Von den Weinen möchte man den Spätburgunder Weißherbst in trocken und halbtrocken herausheben – nicht, weil man besonders Rosé-versessen ist oder einen lokalen Bezug hat, sondern weil der Weißherbst vielleicht hier am See einfach besonders gut gelingt.
Damit wäre ich mit meiner Rallye-Etappe wieder am Bodensee angelangt, auch wenn ich mir noch ein paar sonnige Tage an der Rhône und im Languedoc (Carcassonne ist ja auch Weltkulturerbe…) gönnen werde… Fotos zu den genannten Welterbe-Stätten finden sich in jedem Reiseführer und bei Wikipedia, ich habe daher bis auf den Titel auf die üblichen Touri-Bilder verzichtet, auf Weinflaschenabbildungen aus sämtlichen Gebieten auch.
Cheers!
Die Weinrallye ist ein Blogevent, das jeden Monat einmal stattfindet (in der Regel am letzten Freitag im Monat). Einer der teilnehmenden Blogs übernimmt die Führung, bestimmt das Thema, lädt ein, verlinkt die Beiträge und erstellt eine Zusammenfassung. Sinn und Zweck einer Weinrallye ist einzig und alleine der Spass und die Motivation, schöne Themen aufzuarbeiten. Bei der Weinrallye darf jeder mitmachen, egal ob Weinblogger oder nicht. Auch Nichtbloggern bieten die Gastgeber immer die Möglichkeit ihre Beiträge auf ihrem Blog zu veröffentlichen. Allgemeine Informationen und Logos findet man auf den entsprechenden Seiten von Thomas Lippert (dem Gründer des Events) auf Winzerblog: http://winzerblog.de/weinrallye/ Wer gerne einmal selbst als Autor/Themengeber mitmachen möchte, findet alle Infos und die kommenden Themen zur Weinrallye auf Facebook in der FB-Gruppe » weinrallye «.
* enthält Zitate aus »Monty Python’s Life of Brian« in der dt. Version von »Das Leben des Brian« von 1979. Ebenfalls ein bemerkenswerter Kulturbeitrag auf dem Gebiet der Satire, dessen Rezeptionsgeschichte schon damals zeigte, wie kontrovers über die Grenzen von künstlerischer Meinungsfreiheit und Religionstoleranz gestritten werden kann.