So platt die Frage auf den ersten Blick erscheint, so komplex wird die Antwort, wenn man sich mit verschiedenen Akteuren aus der Weinszene unterhält. Auf der Millèsime Bio in Montpellier wurde das Thema nach den Begrifflichkeiten ebenfalls angerissen, allerdings eher unter dem Thema der nationalen (frz.) und Europäischen rechtlichen Regelungen.
Qu’est-ce qu’un vin Bio?
Die berechtigte Frage, die u.a. von Virgile Joly von der gleichnamigen Domaine gestellt wurde, blieb allerdings jenseits der rechtlichen Regelungen und mangels ausreichender Diskussionszeit unbeantwortet. Die Berechtigung für jedwede Form des ökologischen Weinbaus stehe außer Frage, solange klar ist, welches Label für welche Produktionsmethode steht und solange anständig kontrolliert wird, so der Tenor. Nach Ansicht vieler Winzer, Händler und Konsumenten ist diese Antwort jedoch absolut unzureichend und unbefriedigend.
EU-Recht… Spricht man von Biowein-Produktion bzw. präziser, von ökologischem Weinbau, so sind auch hierzulande zunächst die europäischen Regelungen über die Produktion, Verarbeitung, Kennzeichnung und Einfuhr von Bioprodukten relevant. Diese Regelungen sind seit 1991 in Kraft und wurden in den Jahren 2007-2008 aktualisiert. Es wird derzeit über eine Neu-Definition der Regeln nachgedacht.
Im Moment konzentrieren sich die europäischen Regelungen NCE 834/2007 [hier zum Text der Verordnung als Pdf] und RCE 889/2008 auf alle EU-Bio-Produkte. Allerdings werden sie nur auf Anbautechniken im Weinberg und nicht auf den gesamten Prozess der Weinherstellung angewendet, dh. was im Weinkeller mit den Weinen geschieht, ist ein ganz anderes Thema.
Es gibt viele Definitionen und Philosophien von ökologischen Weinbau und ebenso viele Labels, alleine das wäre bereits eigener Artikel…[vgl. Wikipedia hierzu] Zunächst steht auch hier das grüne, noch recht neue EU-Label von 2010 im Vordergrund.
Neben den staatlichen bzw. EU-weiten Regeln und Siegeln für die Herstellung von ökologisch erzeugten Weinen gibt es weitere Bio-Siegel, die teils weit über die Mindeststandards der EU hinausgehen und auch über zumeist wesentlich strengere Kontrollen verfügen, etwa EcoVin oder auch der Demeter-Verband, der Richtlinien für den gesamten Anbau und Verarbeitungsprozess aufstellt und kontrolliert, nicht nur für die landwirtschaftliche Erzeugung selbst.
Interessant ist hierbei jedoch, dass beispielsweise die Anforderungen und Kontrollen in Österreich wesentlich strenger und stringenter sind, als etwa in Deutschland – eine europaweite Vereinheitlichung wäre auch außerhalb der EU-Verordnung(en) wünschenswert, nicht nur wegen Verbraucherfreundlichkeit und Transparenzerwägungen.
Ob sich einheitliche Standards für die Kellerarbeit EU-weit oder nur in den Verbänden durchsetzen werden, bleibt noch abzuwarten. Ob jedoch gentechnisch veränderte Mikroorganismen und deren Erzeugnisse in den Biowein dürfen, ob wir das wollen oder ob diese allgemein für Biowein egal welcher Vereinigung verboten werden sollte?
Auch hier werden sich möglicherweise die großen Lobbyisten durchsetzen. Aber auch hinsichtlich dem Einsatz etwa von Kaliumhexacyanoferrat zur sogenannten Blauschönung oder für die Verwendung von „scharfen“ Reinigungsmitteln etc. lässt sich auch auf und für die EU-Ebene darüber nachdenken, was sein kann, was muss und was auf jeden Fall verboten gehört.
Ist ‚Bio‘ mehr als nur ökologischer Weinbau?
Das kommt darauf an, wen man fragt. Die europäischen Regelungen für EU-Bio-Produkte sind quasi gesetzliche Mindeststandards. Mehr (bzw. weniger) darf natürlich jeder machen, dh. höhere Maßstäbe sind nicht verboten.
Auf diversen Biomessen zeigt sich jedoch immer mehr, dass es auch eine Art konventionellen Bioweinbau gibt. Standen vor einigen Jahren noch kleine bis mittelgroße Unternehmen im Vordergrund der Szene, gesellen sich in zwischen immer mehr Big Player hinzu, was zunächst für sich genommen keinesfalls negativ zu sehen ist – auch diese Erzeuger haben ihre Berechtigung. Ob sie jedoch nach der Sichtweise der Verbraucher als „Bio“ zu werten sind und ob sie der Begrifflichkeit bzw. dem Label nicht eher schaden, ist eine andere Frage.
Nehmen wir als Beispiel ein spanisches Weingut in La Mancha oder Murcia, einer sehr großen aber auch recht trockenen Weinbauregion. Der ebenfalls sehr große Produktionsbetrieb ist EU-Biozertifiziert. Trotzdem ist es seine Produktionsweise eher konventionell: zwar kann er auf den Einsatz von synthetischen Pestiziden, chemischen Düngemitteln ua. problemlos verzichten, was nicht zuletzt auch durch die klimatischen Verhältnisse begünstigt wird, trotzdem wird hier mit großem Maschineneinsatz gearbeitet und unter Zuhilfenahme eines enormen Energie- und Wasserverbrauchs. Auch im Keller wird konventionell gearbeitet, das heißt es wird ordentlich geschwefelt, geklärt, gepumpt usw…
Kann das Bio sein?
Ex definitione: Ja! Und wer einen spanischen Biowein für 2,49 € im Discounter haben will, (das gibt es tatsächlich!) der soll darüber bitte auch nicht jammern!
Der Anbau von ökologisch erzeugten Weinen ist eben nicht identisch mit einer nachhaltigen, ressourcenschonenden und ethischen Landwirtschaft und Verarbeitung der Weine.
Ein „Mehr an Bio“ setzt neben einem höheren Preis am Markt auch die Berücksichtigung weiterer wesentlicher Punkte voraus, ob diese dann Demeter- zertifiziert und biodynamisch sein müssen, ist wieder eine gänzlich andere Frage.
Wie sieht es mit der Ökobilanz aus?
Für mich gehört das Thema Nachhaltigkeit im weiteren Sinne in die Diskussion, es ist vielleicht sogar ebenso wichtig wie das Thema Bio. Wieso? Was will ich mit einem Biozertifizierten Plastik-Granny-Smith-Apfel aus Israel oder Chile, wenn nebendran mein Apfelbauer zu Fuß erreichbar alte Apfelsorten hegt und pflegt, vielleicht aber kein Zertifikat besitzt, dafür aber Streuobstwiesen hegt und pflegt und Bienen hält?…
Da fällt mir neben Nachhaltigkeit und ethischen Werten natürlich auch der CO₂-Fußabdruck ein, das Thema verbrauchernahe Erzeugung, Schutz alter Sorten, Rücksichtnahme auf den Wasserhaushalt und Erosionsverhinderung… (Stichwort Desertifikation, bei der neben Golfplätzen & Swimmingpools auch die Landwirtschaft eine erhebliche Rolle spielt… )
Weinbau ist aller Tourismus-Idylle zum Trotze eine intensive Monokultur, die weltweit die Landschaft prägt und verändert, nicht nur zum Guten. Es geht daher auch darum, die Folgen für Mensch und Natur zu gering wie möglich zu halten, nicht nur um den Verzicht von Pestizid und Düngereinsatz.
So what’s Bio?
Bio heißt zumindest derzeit nicht: umweltfreundlich in jeder Hinsicht. Bio heißt auch nicht: Niemand wird ausgebeutet; nicht der Boden, nicht das Grundwasser und nicht der Erzeuger selbst und seine Helfer. Bio heißt auch nicht: es wird nicht im Keller eifrig nachgeholfen mit allerlei Helferlein aus dem Chemielabor. Reinzuchthefen, tierische Eiweiße zur Schönung, Säuerung/Entsäuerung, Schwefelung, all das ist erlaubt. Vieles davon mag auch nötig sein, etwa eine Schwefelung in geringem Maße, doch schon bei der Verwendung von tierischen Eiweißen scheiden sich wieder die Geister. Ein veganer Wein wäre demzufolge ohne tierische Eiweiße erzeugt; d.H. eine Mostklärung findet entweder ohne sie oder gar nicht statt.
Ware Biowein und wahre Bioweine
Bio ist in, auch beim Discounter und im Supermarkt. Man erfreut das Gewissen und greift zum grün gekennzeichneten Produkt, schaden kann es ja nicht. Und Pestizidfrei ist auf jeden Fall gut, mal ehrlich. Ob es besser schmeckt? In Sachen Wein wieder ein anderes Thema… Es sei jedoch der Hinweis erlaubt, dass einige der interessantesten Weingüter längst auf Bio umgestellt haben, weitere werden folgen. Man schaue sich nur beispielsweise Beaucastel, Beaurenard und einige andere Erzeuger in Châteauneuf-du-Pape an, die zweifelsohne den Topweinen Frankreichs gehören…
Zwei Wege in der Bioweinproduktion?
Neben den diversen Arten bei der Erzeugung kann man in der Bioweinbranche durchaus von einer Entwicklung in zwei Richtungen sprechen. (Jaja, man könnte es auch noch weiter auffächern… Zwischenstufen vorbehalten! 🙂
Auf der einen Seite oftmals (sehr) große Erzeuger mit entsprechenden großen Flächen, die durch das grüne Label weitere Absatzmärkte erobern können und etwas für ihre Außenkommunikation tun wollen. Gearbeitet wird im Wesentlichen wie bei anderen großen Produzenten, aber unter Verzicht auf Spritz- und Düngemittel gemäß EU-Verordnung. Ressourcenschonung durch geringen Energieverbrauch und ein Griff in den Wasserhaushalt sind ebenso wenig ein drängendes Thema wie Schutz vor Bodenerosion und Verdichtung. Artenvielfalt im Weinberg und gesunde Böden stehen weniger im Vordergrund als eine rationelle Ablaufoptimierung, man arbeitet gewinn- und marktorientiert. Man könnte diese Form also „Konventionelle Bioweinproduktion“ nennen.
Auf der anderen Seite die mehr oder weniger zertifizierten Winzer, die schon deshalb weniger spritzen als sie dürften, weil sie direkt nebenan wohnen und ihre Weinberge lieben und für ihre Kinder erhalten möchten. Vielleicht sind auch ein paar Bio-Romantiker oder Esoteriker dabei, aber auf jeden Fall werden hier oftmals herausragende Qualitäten geschaffen, die einen hohen Authentizitätsgrad erreichen. Radikale Mengenreduktion ist hier ebenso selbstverständlich wie eine Bodenwirtschaft, die nicht nur eine leistungsmaximierte Traubenerzeugung bezweckt, sondern den Weinberg als Ökotop begreift, welches positiv beeinflusst und behandelt werden will.
Im Keller wird das getan, was notwendig ist, aber nicht mehr. Es wird nur minimal geschwefelt, „geschüttelt und gerührt“. Man achtet auf Verpackungen und Transportwege ebenso wie nachhaltige Werbung. (Man wird auch auf der BioFach wieder Messestände sehen, die zwar Bioprodukte bewerben, selbst aber über alle Maßen schadstoffbelastet sind, ein extremes Müllvolumen erzeugen, etc…). Man bemüht sich, nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen, als notwendig ist und begreift Nachhaltigkeit und ökologische Wirtschaft nicht nur als Marketing-Botschaft, die es zu vermitteln gilt…
Bio ist ein weites Feld, aber wie weit muss man gehen? Jeder wurschtelt weiter vor sich hin ist keine Lösung, oder doch? Was versteht der Verbraucher, was Händler oder Produzenten darunter und brauchen wir mehr/ noch strengere Kontrollen? Können und sollen die Labels und ihre Bedeutung noch weiter ge- bzw. verstärkt werden oder sind wir alle hinreichend aufgeklärt und informiert, um die Unterschiede & Abstufungen auch wahrzunehmen? Geht auch „ein wenig Bio, nur ohne Zertifikat?“ Gehört Nachhaltigkeit thematisch auch in eine neue stärkere Bio-EU-Verordnung, nicht nur für Weinbau?
Was wollen wir trinken, sieben Tage lang?
Fragen über Fragen…Was meint Ihr dazu?
Wir werden in Kürze ein paar Antworten von Winzern & Händlern hier veröffentlichen, die Kommentarfunktion gibt es im übrigen natürlich auch…
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Zu ähnlichen Themen bei Baccantus:
Sehr interessanter Artikel. Ich habe mal versucht, das weite Feld der „guenen“ Weine etwas zu strukturieren. http://schiller-wine.blogspot.com/2011/11/organic-sustainable-biodynamic-natural.html
Genau das ist eines der Probleme der Definitionen, Christian. Die EU-Richtlinie als Mindeststandard kann nicht der alleinige Maßstab sein. Oder etwa doch?
Hey Stephan,
sehr guter Artikel. Endlich mal jemand der in seinem Blog das Thema BIO objektiv mit vor- und NACH-Teilen durchleuchtet !
Leider werden Toleranzwerte und der Einsatz von Kuper usw meist fast verschwiegen. Genauso der Einsatz von Schraubverschlüssen, die 10 mal mehr CO2 Ausstoß und Energieverbauch in dr Produktion verursachen !
Für uns ist eher die Nachhaltigkeit interessant geworden , in der Gesamtheit !
http://www.nachhaltiger-wein.net
Viele Grüße aus Rheinhessen
Kai
Edit: In Frankreich wird das drohende Ende des Labels AB diskutiert, ebenso die Frage, nach einer weitreichenderen EU-Regelung oder ob nicht den privaten Verbänden wie EcoVin etc. der Vorzug zu gewähren ist. „Bio-Wein“ im engeren, juristischen Sinne gibt es demnach nicht, man sollte demnach präziser von „biologischem Anbau von Weintrauben“ sprechen…
EDIT 08.02.2012 – so schnell kann es gehen – die EU-Kommission hat sich entsprechend entschieden, näheres im nächsten Artikel hier im Blog!
Das ist richtig, juristisch gab und gibt es bisher keinen Biowein. Umgangssprachlich wird der Begriff jedoch verwendet. Korrekt wäre die Bezeichnung „Wein aus biologisch erzeugten Trauben“, aber das ist wohl für den Zusatz zur Artikelbezeichnung zu lang. Bleibt nur zu hoffen, dass dies bald entsprechend umfassend geregelt wird.
Jügen, inzwischen (seit Gestern;-) hat sich schon was getan, siehe nächster Artikel oder hier bei Evovin:
Ich bin jedenfalls der Meinung, dass jeder der auch Konsument ist, sich ein Weingut direkt selbst ansehen sollte. Auf Etiketten kann man nicht vertrauen, die können max. einen Hinweis auf die Arbeitsweise liefern. Aber nicht mehr. Man muss sich die Weingärten etc. selbst mal anschauen. Dann kann man wirklich sehen wie gearbeitet wird!!