[Baccantus] Nachdem was man so husten und räuspern hört, scheint 2010 für viele Winzer ein schwieriger Jahrgang zu werden. Manche sprechen vom ersten normalen Jahr nach vielen außergewöhnlichen, andere von minderer Qualität durch den langen Winter und viel Regen im August und September.
2010 scheint jedenfalls spannend zu werden wie lange nicht, und auch wenn manche den Jahrgang schon abgeschrieben haben erwarten andere noch durchaus bemerkenswertes. Aus Bordeaux ist von kleinen, aber perfekt geformten Beeren 2010 zu hören, aus Deutschland eher eine Mischung aus Frustration, banger Hoffnung und cooler Gelassenheit.
Vielerorts ist ein wesentlicher Teil der Lese schon abgeschlossen
– Zeit für ein erstes Zwischenfazit von Euch
– wie schaut’s aus?
[Wir sprachen mit Alexander Ultes vom Weingut Kiefer [WK] in Eichstetten, Patrick Johner [PJ] vom Weingut Karl H. Johner in Bischoffingen.(beide Kaiserstuhl) sowie mit Gottfried Lamprecht [GL] vom Weingut Herrenhof Lamprecht in der Steiermark, Österreich.]
[WK] 2010 ist ein spannendes Jahr! Wir müssen zwar einerseits eine deutlich kleinere Ernte als in anderen Jahren hinnehmen, doch sind wir nach der leichten Anspannung durch den regnerischen August nun wieder entspannt. Klar gab es hier und da ein wenig Fäulnis, was uns dazu trieb, die Erträge weiter zu senken, speziell beim Müller-Thurgau. Andererseits jedoch haben wir reife Burgunder mit kleinen prallen Beeren, die nahezu perfekt sind! Es wird in meinen Augen – vorausgesetzt das Wetter spielt mit – ein spannender Jahrgang, in dem man, wenn man sich so richtig viel Arbeit macht, ebenso spannende Weine machen kann.
[PJ] Wir werden wohl nicht ganz die Mostgewichte von 2009 erreichen. Im Grunde ist es ein Abwägungsspiel zwischen maximaler möglicher Reifearomatik… Das Retten der Trauben vor zu viel Botrytis. Der Aufwand den man mit Traubensortierung betreiben möchte…
[GL] Ich bin jetzt mitten in der Lese und habe es geschafft durch viele viele Überstunden, dass die allermeisten Weißweintrauben noch draußen hängen. Rotwein ist diese Woche gelesen worden. Dem hat der Regen schon zugesetzt (Spätburgunder). Die Gradationen liegen jetzt bei 18KMW + das sind rund 90oe +. Niedrigere Alkoholgehalte sind nicht das Problem, da freue mich sogar, dass sich die Weine so um 12,5 vol% einpendeln werden – es muss eben nicht gleich immer 14,0 sein!
Grundsätzlich ist es für die Steiermark ein mittleres bis schlechtes Jahr. Natürlich recht betriebsunterschiedlich. Mancherorts hört man von Trauben die mit 65 Oechsle gelesen wurden, da Fäulnis eintrat. In meiner Gegend bin ich wohl fast der einzige, der jetzt noch erntet – jetzt ist der Altweibersommer wirklich gekommen, auf den ich gewartet habe… 🙂
[Baccantus] Wie weit seid Ihr mit der Lese? Wie sieht es bei euch aus mit den hohen Säurewerten, feuchtigkeitsbedingter Fäule oder sonstigen witterungsbedingten Problemen?
[WK] Wir sind mittendrin in der Lese und liegen voll im Plan, nur die Menge wird dieses Jahr deutlich kleiner als erhofft. Die Trauben die wir schon gelesen haben oder aktuell lesen sind reif und bringen guten Geschmack mit. Zum Glück lesen wir momentan schneller als die Fäulnis kommt, daher sind wir in dem Punkt optimistisch. Die Säure liegt zwar höher als in den letzten Jahren, aber durchaus in einem tolerierbaren Bereich. Wein ist eben kein Industrieprodukt! Dank einer guten Vorarbeit stehen die Reben gut da, wir sind optimistisch. Es wird sicher kein ganz einfacher Jahrgang, man muss hier schon mit sehr viel Einsatz reingehen.
[GL ] Fäulnis gibt oder gab es natürlich – es wäre eine Lüge zu sagen es gibt keine. Ich selektioniere im Weingarten sehr streng und hab zum Glück ein super Team. Mich wundert es selber wie viel der Bio-Weingarten aushält. Jetzt können die Weingärten aber Aufatmen.
[Baccantus] Viele haben noch Hoffnung für die späteren Sorten. Poker spielen und zocken, also den Lesezeitpunkt möglichst weit nach hinten raus schieben und noch auf ein paar Sonnenstrahlen hoffen, oder… – was ist die Devise bei euch?
[WK] Pokern und Sicherheit ist die Devise bei uns! Wir schieben natürlich wo es geht Lesetermine nach hinten. Viele Rebanlagen stehen so gut da, dass es kein Problem darstellt. Die Rebanlagen die wir früher lesen müssen lesen wir auch dementsprechend schon, die Oechslegrade und die Beerenreife sind bereits ausreichend. So können wir einerseits im Keller ein wenig beim Verschneiden spielen, andererseits muss ja der Spätburgunder auf der Literflasche keine 110 ° Oechsle haben! Unser Stil ist eh der elegante Kaiserstühler Wein, nicht die Kraftprotze, die mit 14 % Alkohol daherkommen. Wichtig sind bei den Beeren nicht nur die Oechslegrade, sondern auch die Reife der Beeren und die Aromen, die sie mitbringen!
[PJ] Jetzt ist Vollgas angesagt… Wir attackieren jetzt den Pinot!… Hat zwar dann nicht die Reife-Aromatik wie 2009 wird dann eher Sauerkirsche, Cranberry, Rotcassis erhalten… d.h. Weinberge besichtigen und entscheiden…
jetzt ernten / kann noch warten / abschreiben… ( bis jetzt noch nicht 😉
[GL] Mit der Tatsache, dass der sogenannte Altweibersommer doch noch gekommen ist, geht’s jetzt wieder lockerer an die Sache. Die Wettervorhersage ist zu mindest für diese Woche gut bis sehr gut und dann kann man schon noch warten!
[Baccantus] Reicht Abwarten aus oder muss man dieses Jahr im Keller gezielt mit den Weinen arbeiten, also aus der Laienperspektive betrachtet „mehr Hand anlegen“ als sonst?
[WK] Abwarten alleine reicht eh nicht aus, wenn man gute Weine machen will. Man ist im Keller in jedem Jahr gefordert auch dort alles richtig zu machen!
[GL] Nein, alles erfolgt wie gewohnt, die Erntemenge ist sehr gut und die Trauben sind reif, was soll ich da mit Zaubermittel spielen?! Finger weg…
[Baccantus] Wein ist ein Naturprodukt, so hört man es zumindest oft. Trotzdem erwarten viele Käufer eine gleichbleibende Qualität, gerade auch im Fach- und Lebensmitteleinzelhandel. Wenn die Weine wesentlich von den Vor-Jahrgängen abweichen werden (wovon vielerorts zumindest auszugehen ist), wie werden eure Kunden darauf reagieren?
[WK] Es wird mit dem Jahrgang 2010 eine stilistische Schwankung geben wie mit jedem anderen Jahrgang auch. In der Weinbranche sind wir in den vergangenen Jahren ein wenig verwöhnt worden durch recht ähnlich gute Jahrgänge. Mit dem Jahrgang 2010 werden sicher einige Weingüter zu kämpfen haben. Man muss spezielle, andersartige Jahrgänge wie diesen gut im Griff haben und kompromisslos nach Qualität streben. Unsere Kunden wissen meiner Einschätzung nach mit stilistischen Jahrgangsschwankungen umzugehen und werden das auch akzeptieren, zumal wir (bei uns) nicht von allzu großen Schwankungen ausgehen. Die früh gelesenen Qualitäten zeigen im Most schon eine gute Qualität, die noch hängenden Trauben für die Top Qualitäten ebenso.
[GL] So wie viele Winzer den Bezug zum eigenen Wein verloren haben, so hat auch der Wein den Bezug zum Jahrgang verloren. Ein schlechter Jahrgang hat nicht damit zu tun, dass der Wein untrinkbar ist, ganz und gar nicht, doch soll ein Unterschied merkbar sein. Alles andere ist Sprite. Oft wird Wein nur mehr im Supermarkt gekauft, da gibt es keine Beratung und deshalb kann auch ein Jahrgangsunterschied nicht verstanden werden.
[Baccantus] Welche Auswirkungen haben gezielte Eingriffe im Weinberg durch Laubarbeiten und letztlich die Lesemethoden zu einem Jahrgang auf die Qualität?
[WK] Was man hier nicht an Qualität hat kann man im Keller nicht herausholen!
Man macht im Weinberg – sei es durch Laubarbeiten, Bodenbearbeitung, oder, oder, oder… – die wichtige Vorarbeit für die Qualität, im Keller erhält man sie und arbeitet sie heraus. Beides ist wichtig!
[GL] Große – mit der Tatsache, dass ich die meiste Zeit im Weinberg verbringe, soll auch von hier die Qualität kommen. Handlese ist unabdingbar. Jeder der mir erzählt der Vollernter ergebe die bessere Qualität, dem glaube ich nicht. Da gab es schon so manche Diskussionen. Weinbau ist für mich Handwerk. Und deshalb Handlese.
[Baccantus] Wir danken für eure Einschätzungen und wünschen euch noch eine erfolgreiche Lese im Herbst 2010!
Patrick Johner direkt aus dem Weinberg zur Spätburgunderlese 2010
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Gottfried Lamprecht im Video zur Lese 2010
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Die Linkszu den befragten Weingütern
Weingut Karl H. Johner, Kaiserstuhl, Baden
Weingut Kiefer, Eichstetten, Kaiserstuh, Baden
Weingut Herrenhof Lamprecht, Steiermark, Österreich
O-Ton eines befreundeten Winzers Untermosel: Der schwierigste (lies: schlechteste) Jahrgang seit fast 30 Jahren (genauer seit: 1982)!
Vielen Dank Stefan!
ich sehe die sache ganz genauso! 2010 ist ein jahr für handwerker und verlangt geduld am rebstock, sowie die motivation auch mal schlechteres wetter zu verkraften.
bei uns hängen derzeit noch riesling, grauburgunder, spätburgunder, merlot und etwas sylvaner, der jetzt fällt!
ansonsten muss man im nördl. rheinhessen abwarten was der regen am freitag/samstag bringt.
ich denke, dass die winzer mit guter laubarbeit und sauberer vorlese dieses jahr noch einiges erwarten dürfen, auch rieslinge mit sauberer, glasklarer frucht, reifer säure!
bin gespannt was der jahrgang noch bringt!
@Braunewell – wir auch! 🙂
auch der Fokus befasst sich also nun mit dem Thema der Weinlese 2010… In seiner Onlineausgabe vom Mittwoch 13.10.2010 ist von der (angeblich) schwächsten Ernte seit 25 Jahren die Rede.
Tenor: Deutlich weniger Erntemenge bei guter Qualität; steigende Preise…
Hier geht’s zum Artikel: [extern]
http://www.focus.de/finanzen/news/deutscher-wein-winzer-beklagen-schwaechste-ernte-seit-jahren_aid_561870.html