Nachhaltigkeit? Wer ist der Böse, REWE, Dallmayr oder beide?
Niedrigpreise sind gut für den Verbraucher und Sonderangebote locken bekanntlich die Kundschaft in den Laden, oder?
Neulich fanden wir diesen Zettel hier in einem REWE-Markt und mussten über Kaffeepreise nachdenken. Mitte der 90er Jahre waren Dallmayr, Mövenpick & Co. nicht nur edle Marken, die qualitativ und preislich vor Tchibo, Jacobs und anderen lagen, sondern hatten auch einen entsprechenden Markenwert. Ganz abgesehen davon, dass gemahlener Röstkaffee heute zunehmend von Pads und ganzen Espressobohnen für die jeweiligen Maschinen verdrängt wird und der Weltmarkt für Kaffee seit Jahren starken Schwankungen unterworfen ist, lässt sich folgendes feststellen:
1995 kostete eine übliche Packung Dallmayr zu 500g deutlich über 10 DM, eher 11,99 DM, während der Kaffee der Hausmarke von Aldi (Süd) um die 6 DM pendelte, also bei knapp der Hälfte.
Edle Arabicasorten auf der einen Seite, säuerliche Robusta auf der anderen? Lange her. Heute liegt die Hausmarke von Aldi Süd, „Amaroy“ (100% Arabica) bei max. 2,99 Euro, also in etwa auf dem Preisniveau, auf dem die Schlacht um die Schnäppchen im Kaffeeregal bei den Discountern stattfindet. Jede Woche hat ein anderer Laden Dallmayr und Co. in seinen Prospekten zu diesem Kampfpreis – Von Lidl über Kaufland bis REWE ist die Marke Dauergast bei den Lockangeboten – den Kunden freuts. (solange er nicht längst in den Espresso-Adel von illy & Co aufgestiegen ist).
Was soll die Aufregung?
Wenn Dallmayr REWE aus der Belieferung ausschließt, gehen wir halt zu Kaufland, oder? Soweit so gut. Das Problem liegt weniger beim allgemeinen Preisverfall, fehlender Nachhaltigkeit und ausbeuterischen Produktionsmethoden, (unfaire Produktionsmethoden auf den Kaffeeplantagen, FairTrade und der Weltmarkt für Kaffee an sich ist ebenfalls ein sehr interessantes, komplexes Thema, das allerdings anderswo hinreichend behandelt wurde und wird), sondern bei der Dekonstruktion einer angesehenen etablierten Marke, vorangetrieben durch den Wettbewerb an der Schnäppchenfront.
Einen Markenartikelhersteller kann das nicht freuen, wenn er jahrelang eine Marke teuer aufbaut und diese dann zum Ramschobjekt verkommt.
In den 90ern tobte eine vergleichbar ruinöse Schlacht insbesondere bei den Waschmitteln – gerade die großen Verbrauchermärkte überboten sich förmlich mit Billigangeboten zu Preisen, bei denen teilweise sogar draufgelegt wurde, um die Billigjäger auf die grüne Wiese oder an die Stadtränder zu locken.
Wie wert sich eine Marke?
Schon damals, als sich vergleichbares auch bei anderen Markenprodukten (etwa bei der Schokoladenmarke Milka, die teilweise zum Selbstkostenpreis angeboten wurde) abzeichnete, wehrte sich ein Hersteller erbittert und drohte mit dem Lieferstopp seiner Produktpalette, falls die Märkte unter den von ihm festgesetzten Mindestpreis verkaufen würden: Ferrero. Auf derart starke Marken wie Nutella, Hanuta, Mon Chéri und Kinderschokolade konnten und wollten die wenigsten in ihrem Sortiment verzichten.
Und da liegt auch der wesentliche Unterschied zu Waschmitteln und Kaffeemarken: Dallmayr und Ariel sind zwar geschätzte und bekannte Qualitätsmarken in ihrer Produktgruppe. Die Konsumentenaffinität zu ihnen ist allerdings selten derartig stark ausgeprägt wie in der Ferrero-Fankurve mit ihren Milchschnitten, Überraschungseiern und Piemontkirschen, die oftmals einfach konkurrenzlos sind (völlig unabhängig von ihrer etwaigen Qualität).
Ob REWE nun einen ähnlichen Kurs gegen Ferrero fahren würde, wie nun gegen den Münchner Kaffeeröster, ist mehr als fraglich und die Antwort liegt auf der Hand.
Alles kalter Kaffee…
Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die Ende 2009 durch das Kartellamt verhängten Millionenstrafen wegen Preisabsprachen gegen Tchibo, Melitta und eben Dallmayr in einem etwas anderen Licht, ohne damit derartiges Tun gutheißen zu wollen.
Wie schützt sich ein Hersteller eines Produktes gegen eine Verramschung als Schnäppchenfutter? Wie setzt ein Markenhersteller seine Interessen gegen die des Handels durch? Fragen, denen man auch anderswo begegnet und für die es keine allgemein gültigen Antworten gibt. Auch das Kartellamt muss sich die Frage gefallen lassen, wem es hier eigentlich auf die Finger klopfen soll und warum in anderen angebotsoligopolen Märkten so auffällig wenig geschieht.
Dass sich nun REWE mit diesem Schreiben an die Kunden als Verfechter von verbrauchergerechten Preisen geriert, ist – mit Verlaub gesagt – geradezu lächerlich.
Anders als im oben geschilderten Ausnahmefall von Ferrero sind es zumeist die großen Märkte, die ihre Lieferanten preislich unter Druck setzen können und ihre Marktmacht auch ausnutzen. Wenn etwa die Gruppen von REWE, Edeka, Metro und Schwarz jeder für sich (gemeinsame Aktionen wären ja schon wieder kartellrechtlich beachtlich) auf die weniger potenten Hersteller einwirken, stehen diese sehr schnell unter dem enormen Druck, sich an die geforderten Vorgaben anzupassen, oder ihrerseits aus dem Sortiment zu fliegen.
Preiserhöhungen wegen gestiegener Erzeugerkosten können beispielsweise auch Weinerzeuger oftmals nicht gegenüber den Einkäufern durchsetzen, im Gegenteil: Man wird in der kommenden Monaten sehen, dass so mancher Wein im Regal zum Angebot deklariert wird, bevor dann der Preis dauerhaft sinkt oder der Erzeuger aus dem Programm genommen wird.
Letzteres könnte beispielsweise auch geschehen, wenn dieser freiwillig (?) und vorbeugend künftig auf die Sicherheit eines Großabnehmers verzichten muss, und sich so einem ruinösen Wettkampf an der Billigfront entzieht.
Ob also die billigsten Preise für die Verbraucher wirklich und mit dieser Konsequenz ein erstrebenswertes Ziel sein können?
Vielleicht denkt ja auch König Kunde mal beim Einkauf darüber nach…
Verwandte und weiterführende Artikel
Baccantus: Billige Lebensmittelpreise – die Kehrseite (aktueller Nachtrag zum gleichen Thema) Michael W. Pleitgen von der Weinakademie Berlin: Nachhaltigkeit: Kaffee trifft Händler – Beispiel Gliss/REWE Maskal.de – Wege aus der Kaffeepreis-Misere Abendblatt.de: Penny, Netto und Co. – Billiger Kaffee als Lockangebot beim Discounter financial.de: Kaffeepreise sinken trotz knapper VersorgungslageZu den Strafen des Kartellamtes gegen die Kaffeeröster Merkur online – Kartellamt verhängt Millionenbußen
Weser-Ems Business-on: Dallmayr Preisabsprachen (…)
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Eben mögliche Konsequenzen diskutiert:
der Kaffeeröster fährt für das „angegriffene“ Markenprodukt die Qualität runter und opfert diese also dem massiven Preisverfall.
Er baut eine neue Premiummarke auf, also statt „Prodomo“ ein „Primadomo“ (man möge mir verzeihen) und verlangt einen entsprechend höheren Preis, bzw. versucht dies.
Er investiert enorme Summen in den Aufbau der neuen Top-Marke für Werbung und Markteindringung, und hat damit eine Weile relativen Erfolg. Allerdings wird das ehemalige Premiumprodukt damit gänzlich unattraktiv.
Der Preisangriff auf die neue Premiummarke beginnt, zurück auf null…
Die oben beschriebene Problematik sollte man unter dem Gesichtspunkt der Globalisierung/Europäisierung etwas diffenrenzierter betrachten. Die Zeiten von groß, größer bis marktbeherrschend haben glücklicherweise so langsam das Ende ihrer Hochphase erreicht. Verbraucher beginnen sich anders zu orientieren und mehr in den Nischen der Märkte zu suchen. Dabei steht natürlich die Frage, was bekomme ich und was kostet es mich, nach wie vor an erster Stelle. Aber die Wege um schließlich zum Ziel zu kommen, ändern sich doch gerade gewaltig.
Gute Marketingstrategen können diese Wandlung erfolgreich begleiten, indem sie sich grundlegende Gedanken darüber machen, was Verbraucher wirklich brauchen, und nicht auf Teufel komm raus das bewerben, was ein bestimmter Hersteller ihnen vorschreibt. Was nützt es denn wirklich, wenn der neue Staubsauger nur 40 € kostet, der 2 Jahre alte zu Hause aber noch einwandfrei funktioniert. Die Verbraucher haben den Kanal gestrichen voll von Werbeversprechen über Produkte, die in letzter Konsequenz doch nicht eingehalten werden, bzw. bei denen eine Werterhaltung mit zu hohen Ersatzteilkosten im Falle einer Reparatur verbunden ist.
Was nützt es, wenn Lebensmittel billig sind, aber zur Hälfte im Kühlschrank verderben, weil zu viele eingekauft worden sind. (Billig, billig) Bei dem Thema Kaffee denkt niemand darüber nach, dass die Pflücker meistens in Verhältnissen leben und ihre Familien ernähren müssen, die wir verwöhnte Kaffeetrinker uns noch nicht einmal ansatzweise vorstellen können, bzw. überhaupt vorstellen wollen. Billig, billig führt bei uns mehr und mehr dazu, dass noch gute Lebensmittel im Abfall landen. Alleine die Vergegenwärtigung dieser Sachlage, zeigt doch ganz deutlich, wie weit die Pervertierung des Themas billig, billig bereits fortgeschritten ist. Wenn in den Etagen der Planer keine grundsätzliche Änderung der generellen Richtung eintritt, werden wir in Zukunft noch mehr Lebensmittel wegwerfen können. Ein hungriger Kaffeepflücker z. B. wird uns dafür, in seinem tiefsten Inneren um so mehr zu verachten lernen!
Hallo Jörg, sehr wahr. Habe aber bewusst den umfangreichen Komplex von Globalisierungsfolgen, FairTrade und der Weltmarkt für Kaffee nicht auch noch breitgetreten, um den Rahmen & Umfang eines Blogartikels nicht zu sprengen.
Interessant finde ich, dass in Deutschland fast immer zuerst der Preis das Thema ist, sei es bei der Schweinelende für 6,99.- oder beim Kaffee und Sekt für 2,49.- . Anderswo spricht man zuerst von Qualität und Geschmack…
aber auch hierzulande findet zumindest partiell ein Umdenken statt, leider nicht in den Köpfen derer, die mit eingeschweisstem Billigfleisch und Billigwein am See sitzen, Grün wählen und nachher die Überreste inklusive dem Billigwegwerfgrill im Gebüsch entsorgen…
Hallo Stefan,
habe kürzlich in Erwiderung auf einen Kommentar von Rudolf Knoll (der sehr an der Oberfläche bleibt) auf meinem Blog zu den Gefahren der zunehmenden „Discounterisierung“ geschrieben:
Entgegen Behauptungen aus dem Handel haben die niedrigen Preise in Deutschland schon dazu geführt, daß wir im LEH bei Obst und Gemüse, Käse, Fleisch etc nur noch absolute Basis-Qualitäten finden. Beim Wein verkaufen Italiener, Franzosen und Spanier ihre besseren Qualitäten lieber nach England oder USA, weil sie dort höhere Preise erzielen.
Die Spirale dreht sich schon seit Jahren nach unten: immer mehr Qualitäts-Produzenten können nicht mehr mittun. Verschärfend wirkt, daß der Kunde es für ein Naturgesetz hält, daß alles immer billiger wird, weil er das bei Computern und Unterhaltungselektronik täglich erlebt. Vor dieser Entwicklung möchte ich warnen!
Der ganze Artikel hier: http://2big.at/3wv
Hallo Michael, die – wie du treffend schreibst – „Discounterisierung“ ist in der Tat ein umsichgreifendes Problem.
Ich sehe in der Aufspaltung des LEH in Billigsegment einerseits und „HighEnd“- bzw. Delikatessenhandel auf der anderen bei völligem Wegbrechen des Mittelbauches (also „normal“ in Preis & Qualität, oder wie der Jurist sagen würde „mittlerer Art und Güte“) darin aber auch eine – zugegeben kleine – Nische mit Chancen für den qualitätsorientierten Handel Mit Weinen und Lebensmitteln.
Ob allerdings statt dem Gang zum Billig-Metzger der Erwerb von Charolais-Filet via Internetshop die Lösung sein kann oder der klassische Wochenmarkt mit seinen verbraucherfeindlichen Öffnungszeiten?
Das Spiel, auf welches sich macher Qualitätswinzer mit den großen Discountern einlässt, ist jedenfalls ein recht gewagtes, zumindest für diejenigen, die über wenig Alternativ-Vertriebswege verfügen.
Nach einem Gespräch mit einem befreundeten Maschinenbauer über das Thema scheint es einen gewissen Trend zu geben:
Die andauernde Wirtschaftskrise wird von Bestellern wie Einkäufern als Totschlagargument gebracht, um die Preise im betreffenden Marktsegment zu drücken (am besten dauerhaft) und konkurrierende Unternehmen gegeneinander auszuspielen…
Wer nicht mitgeht, fliegt raus, wer mitgeht, erwirtschaftet oft – wenn er Glück hat – noch einen Deckungsbeitrag, für Gewinn reicht es nicht mehr. Ist die Krise vorbei, bleiben die Preise unten…