1999? Das war doch…
Brexit, Prince und Wein? 1999?
Die #99te Etappe, diesmal von Harald » Tellerschubser « Scholl gehostet, auch die Zusammenfassung sämtlicher Beiträge wird dort erscheinen. Aber 1999? Nicht mein Jahrgang. Wer jetzt nicht an Wein, sondern an den viel zu früh verstorbenen kleinen Prinzen Prince Rogers Nelson und seinen Hit zur Jahrtausendwechsel-Party denken muss, und das noch aus der Perspektive der frühen achtziger Jahre, genauer 1982… der denkt wie ich. Aber was hat das Ganze mit Wein und der Weinrallye zu tun? Einen Jahrtausendwechsel feiert man schließlich mit Champagner und ein anständiger Jahrgangschampagner 99 ist auf die Schnelle schwer zu bekommen (hier jedenfalls) und im Zweifelsfalle nicht eben erschwinglich.
Was bleibt? Should I stay or should I go?
Weiter Nachrichten über den eben beschlossenen Brexit lesen und depressiv werden? Sich fragen, welche (sehr wahrscheinlich negativen) Auswirkungen der Brexit auf die Exporte von Weinen aus Deutschland, Frankreich und Italien nach Britannien haben wird? Die Frage, die keinesfalls zu verachtenden südenglischen Schaumweine mangels Auslandsnachfrage je einen Abnehmer finden werden oder ob im Gegenteil sie dann im Inland verstärkt nachgefragt werden, da keiner mehr Geld für Champagner oder deutschen Winzersekt hat, außer den Börsen-Zampanos, die ohnehin gegen das britische Pfund gewettet haben und denen der Ausstieg völlig egal ist, da sie eh schon vor drei Jahren ein Anwesen im Taunus Blick auf Frankfurt gekauft haben…? Was wird eigentlich aus dem Lidl-Engagement in the UK?
Wein anlegen, zurücklegen, aufheben?
Muss es denn überhaupt ein Wein aus dem Jahr 99 sein und wer erinnert sich eigentlich noch daran, wie der Sommer bzw. Herbst vor dem Jahrtausendwechsel, dem Millennium war? Ich jedenfalls beim besten Willen nicht. Da waren andere Dinge wichtiger als Jahrgänge.
Natürlich könnte man jetzt Jahrgangstabellen googeln und wälzen, dann mit angelesenem »Weinwissen« glänzen, aber sei’s drum. Das Jahr 2000 war jedenfalls im Bordelais ein großartiger Spitzenjahrgang, soviel ist klar. Anständige Mengen mit phantastischen Qualitäten querbeet. Wer redet noch vom 99er?
Wer sich daran erinnern kann, war nicht dabei…
Ich weiß allerdings noch, mit was und mit wem ich wo (auf einem Schiff auf dem Bodensee) auf den Milleniumswechsel angestoßen habe. Es war schließlich erst Mitternacht und der Champagner eigentlich nicht der Rede wert… egal. Eine vielleicht interessantere Frage:
Welche Weine lassen sich überhaupt so lange lagern?
Und macht es überhaupt Sinn? Man bekommt sie inzwischen häufiger gestellt oder fragt sich selbst, wenn es etwas Großes zu feiern gibt, beispielsweise die Geburt von derart süßen Kindern, wie ich sie habe 🙂 Was also einlagern? Weine, die man bedenkenlos 20 Jahre und mehr bei nicht so perfekter Kellerlagerung aufbewahren kann, sind bei weitem nicht so häufig, wie viele denken. Auch ein großer oder sagen wir mittelprächtig großer Bordeaux ist längst keine Garantie für eine Haltbarkeit von über 20 Jahren, manchmal nicht mal von über zehn Jahren und nein – auch nicht aus einem » Jahrhundertjahrgang «, was auch immer dies aus der Perspektive der Gegenwart oder gar im Zeitpunkt der Subskription bedeuten mag.
Das werden noch einige Vorratskäufer feststellen, wenn sie eine Flasche vom zumindest stellenweise zu recht hochgelobten und sehr warmen Jahrgang 2009 in ein paar Jahren öffnen…
Hätte man lieber mehr 2010 gekauft, aber das ist ein anderes Thema. 2015 wird vielerorts sicher auch wieder recht spannend und in Anbetracht von Zinsniveau und Unsicherheiten an den Börsen, zumal in London, gibt es sicher Unvernünftigeres, als etwas in Große Rotweine zu investieren, wenn man sie zur Not immer noch trinken kann (im optimalen Verlaufsfalle auch mit großem Genuss!), selbst wenn sie unverkäuflich sein sollten.
Crémant aus dem Limoux??
Wie hinreichend bekannt sein dürfte, ist Jahrgangschampagner mit langem Hefelager und spätem Degorgierdatum ein Hochgenuss, der jeden Lügen straft, der meint, man müsse jegliche Prickler möglichst bald vernichten oder ihnen gar den Säbel an den Hals setzen.
Zuletzt war ich in Limoux am Fuße der Pyrenäen in Sachen Crémants, zu den Einzelheiten und Besonderheiten der Schaumweine aus dieser Region demnächst mehr. Dass die historische Schaumweintradition dort zwar gerne mit der Champagne verglichen wird und man erzählt, man prickle schon länger, mag zwar eine nette Geschichte sein, allerdings bringen solche Vergleiche niemand etwas. Dass es dort einige herausragende Produzenten gibt, steht jedoch außer Frage, allen voran das Biowein-Urgestein aus Antugnac: Die Domaine Delmas von Bernard Delmas.
30 Jahre ist man jetzt Bio-zertifiziert, mit Lagen zwischen 300 und 450 m Höhe ist man in den höheren Bereichen des Limoux, was für anständige Frische sorgt. Aber egal – auf die Qualität kommt es letztlich an.
Beim Concours des Crémants gab es dieses mal Gold für die Cuvée des Sacres 2011 und Silber für die Cuvée Passion. Beim Besuch vorort wurde noch ein “Fast 1999er” verkostet, zumindest ist das 99er Jahr mittendrin: Die Cuvée an 2000 stammt aus dem Lesejahr 1998, nach 18 (!) Jahren auf der Feinhefe wurde sie vor ein paar Wochen degorgiert und kommt jetzt auf den Markt. Sensationell vielschichtig-frisches Ergebnis, ultrafeine Perlage, minimale Versanddosage (wir hatten auch eine Probeflasche ganz ohne VD probieren dürfen, gigantisch gut, eigentlich mein Favorit). Ofenfrische Brioche, etwas Hefe, etwas Kräuteriges, ein paar getrocknete Aprikosen, Caramel… auch wenn es wieder kein 1999er ist. Zeigt aber, dass selbst ein Crémant aus Limoux fantastisch altern kann. Auf der Hefe zumindest. Ich war jedenfalls beeindruckt und ich war nicht allein.
Don Oxi & the Spirits
Was sich problemlos lange lagern lässt, sind oxidative und aufgesprittete Weine, auch wenn sie nicht eben im Fokus des gemeinen Weintrinkers stehen. Die Wahrscheinlichkeit, eine Flasche alten Portwein, Sherry oder einen der großartigen Vins doux Naturels auch nach über 20 Jahren noch mit Genuss trinken zu können ist relativ hoch, klassischen Spirituosen wie Cognac oder Whisky ganz zu schweigen. Alte VdNs und auch Olorosos, manchmal auch Ports sind dabei noch relativ erschwinglich.
Wer?
Eine wesentliche Frage ist immer » wer? «. Wer trinkt? Ob man das ganze Zeug später für sich selbst will, es die eigenen Kinder trinken lassen will, oder für den späteren Weiterverkauf, natürlich mit Gewinn, zurücklegt ist ein entscheidender Unterschied. Die meisten Weine werden heute so gemacht, dass sie entweder sehr schnell konsumierbarer sind oder zumindest innert 15 Jahren genossen werden können und sollen.
» Wann? « Ich bin kein Freund davon, sein Leben auf später zu verschieben. Wer weiß schon, ob er mit über 70 noch lebt, und wenn ja, überhaupt noch in der Lage ist, selbstständig in den Keller und zurück zu laufen oder auch nur ein Weinglas zum Munde führen zu können?
Nächste Frage ist die der Kinder. Bis sie 16 sind, sollen und dürfen sie bekanntermaßen keinen Alkohol trinken. Bis dahin bedarf es also eines Weines, welcher beiden Eltern schmeckt und den sie sich quasi als Schmerzensgeld oder zur Belohnung jedes Jahr selbst einschenken können, vielleicht auch nur, um sich gegenseitig zu beglückwünschen. Sofern der gut geratene Spross die Pubertät anständig überstanden und die Volljährigkeit erreicht hat, stellt sich auch bei anständiger Erziehung die Frage, ob man am Besten gleich den zum Führerschein passenden Alkohol schenkt und dann die Autoschlüssel versteckt, oder ob man ihn einen edlen Tropfen mit seinen Freunden trinken lässt, welche ihn schlimmstenfalls mit Limonade verhunzten, im wahrscheinlichsten Falle aber kaum anständig schätzen werden können.
Also: einlagern, selbst trinken, Spaß dran haben und vielleicht ein Fläschchen Hochprozentiges zur Hochzeit der Kinder zurücklegen, selbst wenn die Flasche dann längst hinüber sein sollte. Mit edelsüßen Riesling-Spezialitäten kann man neben großen gereiften Portweinen vielleicht ebenso glücklich werden, falls man auf Süßigkeiten steht: Auslesen, Beerenauslesen, Trockenbeerenauslesen oder Eisweine sind geradezu prädestiniert für eine lange Lagerung in (m)einem Keller! Manch einer berichtete von großartigen TBAs aus 1999… Ein Vin Jaune aus dem Jura sollte sich problemlos über 20 Jahre lagern lassen, ein guter Oloroso oder – Moooment. Da müsste noch eine Flasche im Keller liegen:
1999 Domaine Cazes Rivesaltes Ambré, Languedoc-Roussillon, France. (Grenache blanc 100%. Noch ein Bio-Pionier.) Wer mal etwas richtig großartig Gereiftes in dieser Richtung probieren will: Aimé Cazes 1978. Immer noch erhältlich, 80% grenache blanc, 20 % grenache noir.) Und wie ich auf dem Foto jetzt feststelle, habe ich den 1998er gegriffen, wieder knapp daneben. Aber jetzt gehe ich nicht mehr vor die Türe. und der Korken ist raus. Out means out. 1999 sucks!
Das Abendprogramm steht, einen Ambré 98er auf den Brexit. Vive la France! Vive L’Europe!
Cheers oder heute besser: Sláinte und Santé!
Euer Weinanwalt
Die Weinrallye ist ein Blogevent, das jeden Monat einmal stattfindet (in der Regel am letzten Freitag im Monat). Einer der teilnehmenden Blogs übernimmt die Führung, bestimmt das Thema, lädt ein, verlinkt die Beiträge und erstellt eine Zusammenfassung. Sinn und Zweck einer Weinrallye ist einzig und alleine der Spass und die Motivation, schöne Themen aufzuarbeiten. Bei der Weinrallye darf jeder mitmachen, egal ob Weinblogger oder nicht. Auch Nichtbloggern bieten die Gastgeber immer die Möglichkeit ihre Beiträge auf ihrem Blog zu veröffentlichen. Allgemeine Informationen und Logos findet man auf den entsprechenden Seiten von Thomas Lippert (dem Gründer des Events) auf Winzerblog: http://winzerblog.de/weinrallye/ Wer gerne einmal selbst als Autor/Themengeber mitmachen möchte, findet alle Infos und die kommenden Themen zur Weinrallye auf Facebook in der FB-Gruppe » weinrallye «.