Twin Peaks S03 E8 – die Kernspaltung
(Marc Herold) Bislang war ich ja recht zurückhaltend mit meiner Bewertung der Serie, ich war froh, dass es endlich los ging mit der Staffel und die überall auftauchenden Rätsel versetzten mich eher in ein Stadium der andauernden Konzentration, als in haltlose Begeisterung.
Mit der achten Episode der dritten Season hat Lynch aber dann ein Meisterwerk geschaffen, das für mich mit zum größten gehört, was der Magier aus Missoula überhaupt erschaffen hat. Ich habe die gesamte Episode nicht nur metaphorisch mit heruntergeklapptem Unterkiefer gesehen.
Wodurch das begründet ist, und was in dieser Episode überhaupt passierte, ist teil dieses Teils meines immerwährenden Twin Peaks-Artikels.
Guter Cooper, böser Cooper
Der „böse“ Cooper schafft es am Ende der 7 Episode, von Dwight Murphy seine Freilassung aus dem Gefängnis von Yankton zu erpressen. Zusammen mit Ray steigt er dann in Episode 8 in den Mietwagen, der Teil des Deals mit Murphy war und sie machen sich auf den Weg an einen Ort, dessen Koordinaten lediglich Ray bekannt sind. Die Dinge geraten in Bewegung, als Ray Cooper bei einem Zwischenstop in einem nächtlichen Wald erschießt und daraufhin merkwürdige, holzfällerartige Gestalten erscheinen und Cooper wieder ins Leben zurück bringen.
Obwohl diese Wiederbelebung vollkommen in das logische Konzept der Serie passt, da beide Coopers offenbar Teil eines größeren Plans sind und nicht von weltlichen Umständen von ihrem Weg abgebracht werden sollen, erwischt uns die filmische Umsetzung mit großer Wucht. Die „Woodsmen“ scheinen auch visuell nicht von dieser Welt zu sein. Sie erscheinen mal mehr mal weniger transparent, außerdem tauchen sie aus der Nacht auf und verschwinden danach auch wieder vollkommen im Dunkeln.
Das Getriebe der Welt
Als wäre diese Szene nicht schon beunruhigend genug, startet Lynch nach dem Verschwinden der Woodsman eine der außergewöhnlichsten Filmsequenzen in der Geschichte des Fernsehens.
Wir werden zurückgeworfen in das Jahr 1947 und sehen einen der ersten Atombombentests in „White Sands“, USA. Der Blick der Kamera bewegt sich dabei auf das Zentrum der Explosion zu wobei die Visualisierung physikalischer, machtvoller Vorgänge etwas an die „Weltraumreise“-Sequenz aus „Dune“ erinnert. Wir sehen das Schattenbild von Bob eingeschrieben in den Kern der Explosion. In der darauf folgenden Sequenz verfolgen wir, wie der Twin Peaks „Riese“ und eine aufwendig gekleidete Dame in dem „Wachturm“ über einem Caladan-artigen Ozean die Atombombenexplosion auf einer Kinoleinwand verfolgen. Nachdem sie ebenfalls das Gesicht Bobs gesehen haben, erzeugt (Lynch verwendet hier auch wieder diese „Plasmastrahl“-Darstellung, die wir auch schon aus der Übertragung des guten Coopers kennen) eine goldene Kugel, in der das Gesicht Laura Palmers zu sehen ist. Die Laura-Palmer-Kugel wird daraufhin in das –bildlich tatsächlich so dargestellte – Getriebe der Welt gegeben.
Got a light?
Lynch scheint uns mit der Atombombensequenz mehrere Dinge zeigen zu wollen. Zum einen erfahren wir etwas mehr über die Herkunft Bobs, dieser dunklen, unbeherrschten Macht, deren Existenz sich durch Furcht, Eifersucht und Gewalt nährt. Zum anderen ist für Lynch die Atombombe und ihr politischer Hintergrund, der kalte Krieg, nicht nur ein Symbol für Angst, sondern auch die Keimzelle für das physische Erscheinen des Bösen in den USA. Auch bei tieferer, physikalischer Betrachtung ergibt die Metapher Sinn, da bei der Zündung einer Atombombe aus Atomkernen einzelne Fragmente erzeugt werden; das was vorher eine Einheit war, ist danach gespalten. Die Kettenreaktion/Geschichte lässt sich nicht mehr aufhalten.
Des Goldes Kern
Lynch bettet in die Darstellung der Atomexplosion noch einen weiteren Anknüpfungspunkt an das bisher geschehene ein:
Wir sehen, wie in der Explosion ein weiteres/ das erste Gold Nugget entsteht, welches auch bei der Überführung Dougie Jones` in den Warteraum der Black Lodge zu sehen war. Nicht nur energetisch sondern auch ökonomisch scheint die Geschichte hier ihren „Kern“ zu haben.
Folgerichtig werden die „Wächter über das Gleichgewicht“ auch nach der Entstehung Bobs alarmiert. Ihre Reaktion, nämlich das Erschaffen von Laura Palmer lässt meiner Meinung den Schluß zu, dass die Homecoming Queen kein willkürlich ausgewähltes Opfer Bobs war, sondern als seine vollwertige Gegenspielerin erschaffen wurde (was uns nebenbei auch zu der Frage bringt, was Bob eigentlich die ganze Zeit lang treibt).
Vom diesem Startpunkt in den 40ern bewegt sich Lynch im folgenden Handlungsabschnitt in die 50er, bleibt aber offenbar nahe am Ort des Atombombentests. Wir erleben hier in edelstem, tiefdunkelen Schwarz-Weiß, wie zum einen die Woodsmen aus dem Nichts erscheinen, und sich mit einem mechanisch wiederholten „Got a light?“ auf eine Radiostation in der Wüste zubewegen. Sie töten den Radio DJ und senden folgende Botschaft:
„This is the water.
And this is the well.
Drink full and descend.
The horse is the white
of the eyes and dark within.“
Parallel sehen wir, wie zwei Teenager auf dem Weg durch die Nacht vor dem Haus des Mädchens ankommen und der Junge das Mädchen küsst. Wahrscheinlich haben wir es hier mit dem ersten Date von Sarah und Leland Palmer zu tun. Das Mädchen verschwindet danach im Haus, beginnt zu schlafen (ausgelöst durch die Radiobotschaft der Woodsmen) und ein Hybridwesen aus Insekt und Reptil verschwindet im Mund des schlafenden Mädchens.
Ein wieherndes Pferd.
Die Woodsmen verschwinden daraufhin wieder und in der Ferne hören wir ein wieherndes Pferd.
Diese Sequenz führt einerseits die Woodsmen als „Handlanger des Gleichgewichts“ ein – sie sind dafür zuständig, dass der Plan aufgeht, das Hybridwesen an den Ort seiner Bestimmung zu bringen – andererseits offenbart uns Lynch durch die Radiobotschaft der Woodsmen das „Glaubensbekenntnis“ der Twin Peaks-Welt. Andererseits scheinen sie auch selber auf der Suche nach Erleuchtung/Licht zu sein.
Lynch greift in dieser Sentenz eine Metapher aus der Bibel auf (und am Ende auch wieder aus Dune):
„Wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe,
den wird ewiglich nicht dürsten;
sondern das Wasser, das ich ihm geben werde,
das wird ihm ein Brunnen des Wassers werden,
das in das ewige Leben quillt.“
(Johannes 4:14)
Die Aufforderung in der Botschaft ist demnach, aus der Quelle zu trinken und Teil einer Glaubensgemeinschaft zu werden. Auf den ersten Blick wundert es, warum in der Durchsage „[…] Drink full and descend.“ vorkommt. Warum sollten die Empfänger des Wassers absteigen? Möglicherweise ist hier ein Hinweis darauf eingeflochten, dass die Hörer der Nachricht ins Reich des Schlafes herabsteigen sollen.
This is the water and this is the well.
Das Wasser sind in diesem Fall Radiowellen, Botschaften, Lynch dekliniert seine Geschichte durch sämtliche Formen von Energie. Nachdem Bob in einer Atomexlosion geboren wurde, werden die Nachrichten des Schalters und Lenkers durch Radiowellen übertragen, später wird Cooper durch Elektrizität reisen. Dadurch ist die Woodsman-Sequenz ein weiteres Beispiel, wie konsistent und logisch Lynchs Twin Peaks Welt konstruiert ist und wie sehr er uns trotzdem immer wieder verblüffen kann.
Man kann die Radiosequenz auch durchaus als ironischen Kommentar zu Marshall McLuhans „The medium is the message“ lesen.
Pale Horse
Wohingegen rote Vorhänge, Kaffee oder Wälder im Lynch/Frost-Kosmos sehr häufig vorkommen, ist das Bild des Pferdes schon seltener. Es gibt eine kurze Szene in der ersten Staffel, in der (auch wieder) Sarah Palmer in ihrem Haus (!) ein Pferd sieht. In der dritten Staffel gibt es bislang eigentlich nur die Referenz über das „Silver Stallion“-Casino, in dem Cooper seinen Glücksspielerfolg hat.
Yin und Yang
Dennoch gibt es in der Literatur ein paar Ideen, dass das Pferd bei Lynch ein Symbol für ein höheres Wesen darstellt. Das würde hier auch passen, da die Radiobotschaft dann eine „Yin und yang“-Deutung erfahren würde. Im obersten Wesen sind schwarz und weiß, Gut und Böse vereint.
Lynchs Sehnsucht einen Idealzustand herzustellen in dem die Gräben überbrückt, und die Gegensätze vereint sind zeigt sich an vielfältigen Stellen in Twin Peaks: Der Cooper der ersten beiden Staffeln vereint Logik und Intuition in seinem Vorgehen, FBI Agent Dennis/Denise Bryson wird vom Mann zur Frau, der Möchtegern-Kriminelle Bobby Briggs erscheint in der dritten Staffel als Deputy Sheriff.
Die Urzelle aller Hybridwesen sehen wir als eine Mischung aus Kröte und Insekt in Sarah Palmer verschwinden, um dort die Geburt von Laura Palmer vorzubereiten. Die Tragik liegt darin, dass wir bereits gesehen haben, dass Laura Palmer scheitern wird und dass der gute Cooper paralysiert am Rande von Las Vegas die Handlungsmuster der weißen Mittelschicht erlernt und dabei eher Spielball als Spieler ist.
Was können wir also zur Halbzeit der Staffel über das Projekt „Twin Peaks“ festhalten? Was Lynch bis jetzt meisterhaft gezeigt hat, ist die Erschaffung einer Welt, die zum einen fremd, undeutbar und auch unvorhersehbar wirkt, die bei näherer Betrachtung aber einer sehr konsistenten Logik folgt. Lynch schafft es auch scheinbar mühelos den in „Fire Walk with me“ angehäuften Bedeutungsbalast als Kapital für die weitere Erzählung zu nutzen.
An der weiter andauernden Statik des Handlungsstrangs mit Cooper in Vegas sehen wir aber auch, dass Lynch/Frost auch sehr gekonnt mit der Erwartungshaltung des Publikum spielt. Wer, wie ich sehnlichst die Rückkehr des echten Coopers erwatete, wurde bislang enttäuscht. Es wirkt bisweilen sogar, als passierte hier nicht nur nichts, sondern als würden bewusst Labyrinthgänge hinzugefügt, durch die Cooper von seiner eigentlichen Bestimmung abgehalten werden soll.
Aber auch ohne Aktionen in diesem Handlungsstrang passiert in dem Twin-Peaks-Multiversum genug, um mich jeden Montag erneut voller Spannung vor den Bildschirm zu treiben.
Alle Photos: Suzanne Tenner/SHOWTIME