Zur #94 WeinRallye, ausgerichtet vom hundertachtziggrad-blog mit dem Thema ‚Haben & Sein‘.
Schon vor Lektüre des sehr spät verfassten Einleitungstextes des Gastgebers mit einem bewusst weit gefasstem Thema ging mir lustiger Weise der gleiche Wein als erstes durch den Kopf: Tignanello. Man könnte sicherlich auch noch ein paar Szene-Champagner, Edelburgunder mit anführen, aber lassen wir das.
Haben oder Sein? Das riecht nach Etikettentrinker, manchmal auch nach Neiddebatten, MyHouse, MyWine, MyYacht, Wannabe, Starfuckern – oder sagt man jetzt konkreter Winzerfucker? Excuse my french… Ich bin ja kein echter Fan, aber es fallen mir auch ein paar Zeilen aus diversen Songs der Rolling Stones ein. Allmächd!
You just say so ‘cause you give me that
Feeling inside that I know must be right
It’s the singer not the song
Sein oder Soll und Haben? Bilanz am Mittag, noch diesen Abend?
Was hat das alles mit Wein zu tun? Mit Weingenuss?
Der der Winzer, nicht der Wein.
In den letzten Jahren zeigt sich in der deutschen Weinszene ein gewisser Trend weg vom Produkt und hin zum Erzeuger. Der Winzer wird zum Star, sowie um die Jahrtausendwende der DJ, nicht die Scheiben, die er spielte, in den Mittelpunkt rückte. Gerade in Deutschland gibt es einige Winzer die deutlich bekannter sind als ihre Weine, und wenn man böse sein will, ist das manchmal auch besser so. Toller Messeauftritt, Klasse Agentur Arbeit, so jung, so hipp, sehen gut aus und ihre Weine haben sooo coole Etiketten! Präsentiert werden sie von ebenso coolen Hipster-Sommeliers als „geiler Shit“! So what? yet another cliché…!? (also über manchen Weißburgunder und Sauvignon möge man doch bitte schleunigst den Mantel des Schweigens breiten und mir stattdessen ein ehrliches kühles Pils reichen, aber bitte nicht so ein hippes Craft-Gedings, ich sagte Pils! Werde ich jetzt gesteinigt oder gar gedornfeldert?
I saw her today at a reception
A glass of wine in her hand…
Haben.
You can’t always get what you want
But if you try sometimes well you just might find
You get what you need.
So viele Weine, so wenig Zeit… und Geld. Welche Weine legt man sich in den Keller, von welchen träumt man welche sind ohnehin überbewertet, nice to have, nice to drink aber letztlich entbehrlich? Ich hatte in der Vorweihnachtszeit (euch ist heute ein Kindlein geboren und so weiter…) ein paar großartige Weine und Champagner im Glas, darunter an einem Abend einen wunderbaren Champagne Lallier Millésime Grand Cru von 2005. Das läuft jetzt nicht wirklich unter name dropping, da ich davon ausgehen kann, dass einem Großteil der geneigten Leserschaft diese spezielle Cuvée, wenn nicht sogar das Champagnerhaus Lallier aus Aÿ gänzlich unbekannt sein dürfte. Der Effekt und auch Aufmerksamkeit ließe sich sicher erzielen mit einem Allerwelt-Prestigechampagner eines Luxuskonzerns bei den einen, Louis Roederer, Bollinger, Krug etc. bei anderen.
Und da liegt der Haken: Nicht alle, aber manche der genannten Häuser haben wirklich exzellente Fläschchen im Keller – Haben will! Oder etwa doch nicht? Am gleichen Abend wurden auch ein paar feine Rotweine getrunken, von denen mir einer besonders in Erinnerung blieb (logisch, denn ich habe ihn ja auch gekauft eingelagert und an diesem Abend geöffnet). St. Antony Nierstein Blaufränkisch QBA Trocken 2013. Von den roten Schieferböden in Nierstein, die man sonst eher mit tiefgründigen Rieslingen in Verbindung bringt. Der Champagner kostet um die 60 €, der Blaufränkisch 16 €… und ja, ich hätte lieber noch zwei Flaschen davon mehr getrunken für meine Freunde geöffnet an diesem Abend. Nicht, weil der Lallier Grand Cru oder ein vergleichbarer Schäumer nicht gut oder passend gewesen wäre, sondern weil der Rote vom Felix Peters einerseits für Erstaunen sorgte, andererseits sich kolossal über den gesamten Abend entwickelte und immer wieder die Gespräche beflügelte. Und es war nicht mal der hoch und zu recht gelobte große Bruder „Rothe Bach“, den es nur noch in der Subskription gibt und derzeit als einer, wenn nicht der höchstbewerteste Blaufränkisch Deutschlands ist. (Man muss schon genau überlegen, was man zusammen und was getrennt schreibt!).
Love the wine you’re with! Weine, die Gespräche anregen und in Gang halten, dabei großartigen Genuss verbreiten. So etwas interessiert mich jedenfalls wesentlich mehr als die meisten Champagne, auch wenn ich sie gerne trinke. Vergleichbar die Situation in Frankreich, südliche Rhone, Châteauneuf-du-Pape und Languedoc. In Ch9dP und Umgebung gibt es etliche wirklich herausragende Winzer, manche davon weltberühmt, andere weniger bekannt aber nicht notwendigerweise wesentlich schlechter. Brauche ich den großen Namen mit Glamour-Faktor oder – sofern die Qualität stimmt – suche ich einen großartigen Wein mit einem fantastischen Genuss/Preis- Verhältnis? Aber jeder wie er mag, klar.
Sein.
Schein und Sein, Schall und Rauch? Sage mir, welchen Wein du trinkst und ich sage dir wer du bist.
Wäre mal ein lustiges Gesellschaftsspiel, vielleicht noch mit einer Quartett-Ebene mit Musikkonsum? Geschmack trifft es nun mal nicht immer, aber es muss ja auch Weine für Helene-Fischer-Fans geben…
Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob du den Wein trinkst, oder ihn ausstellst? Ihn selber ausgewählt und bezahlt hast oder ob du dich gerne dazu einladen lässt? Ihn gerne trinken würdest, weil er dir einfach unglaublich gut schmeckt, er dich an etwas erinnert oder weil ihn der XXX oder der YYY (oder PP 😉 gelobt, bewertet, gepriesen oder gar den generellen „Trinkbefehl“ erteilt hat? Sehr interessant und aufschlussreich sind dabei auch immer Postings bei Facebook und anderswo, wer mit wem wann welche Weine. (wwwww:-) Wer die Zeche zahlt, steht nicht immer dabei. Besser so. Gut jedenfalls, dass viele Weine immer noch blind verkostet werden.
Jetzt aber schnell noch ein Selfie mit dem Winzer gemacht? Smile & say Riiiesling!
Gottfried (oder Leo?) vom hundertachtziggrad-blog konnte wohl Gedanken lesen, da ich gerade einen Wein vom „österreichischen Kultwinzer Heinrich“ (O-Ton dort) geöffnet habe, allerdings wirklich nur einen ganz einfachen Blaufränkisch. 2013 Blaufränkisch – Gernot Heinrich, Gols, Neusiedlersee. Beschreibung gibt’s keine, gerade erst offen. Und ja, er läuft, aber ich will ja fertig werden und muss bald wieder Windeln wechseln…
In diesem Sinne – happy WeinRallye-Day!
Cheers, der Weinanwalt Stefan.
–
Die Zusammenfassung der Rallye mit den Links zu sämtlichen anderen Beiträgen gibt es später wie immer beim Veranstalter, diesmal von hundertachtziggrad.
Die Weinrallye ist ein derzeit monatlich stattfindendes Blogevent. Jeweils ein anderer Blog bestimmt ein Thema und ruft die Blogosphäre dazu auf, zu diesem Thema einen Artikel zu verfassen. Sinn und Zweck einer Weinrallye ist einzig und alleine der Spass und die Motivation, schöne Themen aufzuarbeiten. Bei der Weinrallye darf jeder mitmachen, egal ob Weinblogger oder nicht. Auch Nichtbloggern bieten die Gastgeber immer die Möglichkeit ihre Beiträge auf ihrem Blog zu veröffentlichen.