In zwei Büchern vom Weinirrenden zum Trunkenheitskünstler
zum Preis von einer Flasche Chianti.
Es irrt der Mensch, so lange er trinkt.
Bücher über Alkohol und Wein im speziellen sind Legion: vom katalogartigen Weinführer über Weinatlanten bis hin zum enzyklopädischen Rebsorten-Kompendium, vom kleinen Johnson über allerhand Weinschulen und Cocktail-Rezeptsammlungen bis hin zum Selfmade-Sommelier.
Zwei kurzweilige, unterhaltsame Bücher über Wein & Co. hat Marcus Reckewitz geschrieben, die im Anaconda-verlag Köln erschienen sind und welche ich der geneigten Leserschaft hier empfehlen möchte, sofern sie nicht ohnehin längst im Bücherschrank – besser noch in Griffweite des Weinregales stehen.
Über die Kunst der Trunkenheit
Ein Plädoyer für den gepflegten Rausch.
» Will keiner trinken, keiner Lachen? «
Johann Wolfgang von Goethe
« Die unbändige Freude am unprätentiösen Lehren so mancher Flasche »
Der Genuss in Gemeinschaft mit Freunden und all denen, die dem heiligen Bacchus huldigen, das ist ja quasi auch das Motto von Baccantus.de. Und die Freude am Genuss an sich spricht aus jeder Zeile des Buches von Reckwitz. Das Vergnügen an Wein, (Craft-)Bier und allerhand Berauschendem wird hier durch die Kenntnis der Materie verstärkt. Den moralischen Zeigefinger spart sich der Autor dabei, ohne dabei in die verbreitete Falle der schönredenden Verharmlosung des Trinkens zu fallen.
» Trinkt, bis alle Welten schwanken! «
William Shakespeare
Heute back ich, morgen brau ich.
Die Menschheit trinkt, seit sie von den Bäumen herabstieg. Der Alkoholismus ist gleichsam von Anbeginn ein steter Begleiter der menschlichen Zivilisation gewesen. Reckewitz gelingt es auf 256 Seiten, eine unterhaltsame wie spannende Menschheitsgeschichte zu zeichnen und die Kapitel mit vierzehn Cocktailrezepten nebst Herkunftsgeschichte zu garnieren. Auf seinem berauschten und berauschenden Ritt durch die Jahrtausende von der Sesshaftwerdung des Menschen über die Religionen bis hin zur Gegenwartspolitik und ihren Abstinenzlern, Verbotsfreunden und Genußverweigerern bringt er «einen süffisanten Toast auf die hohe Kunst der Trunkenheit» aus.
Man könnte behaupten, dass der Ackerbau nicht zur Broterzeugung erfunden wurde, sondern zumindest ebenso der Erzeugung eines alkoholischen Gebräus dienen sollte: Bier! Nach einer üppigen Abrechnung mit dem heiligen deutschen Reinheitsgebotes und der typisch deutschen Schnäppchenkultur, nicht zuletzt beim Weinkauf streift er die Alkoholiker- bzw. alkoholgeschwängerten Literaturpreisträger und Politiker, erweist sich dabei als Kenner der Cocktail-Szene und diverser Geschichten um deren Entstehung: Manhattan Dry oder Frozen Daiquiri, Martini, ob nun gerührt oder geschüttelt, mit oder ohne Olive. Kennedy, Kuba und Hemingway… „der lebende Mythos der Bar, die Kathedrale der inneren Einkehr.“
Wir erfahren, wie einst und heute getrunken wird, wie es zur Gin-Katastrophe und zum Schnaps-Elend der arbeitenden Massen zur Zeiten der Industrialisierung kam und warum die Prohibition scheiterte. Religion und Kunst, klar. Aber Alkoholismus im Iran? In Saudi-Arabien??
« wer trinkt, hat Teilhabe an der Menschheitsgeschichte. »
Reckewitz‘ Auslassungen über den evolutionären Impuls des Trinkens und Genießens einerseits, den meist erfolglosen Kampf der Politik und des überfürsorglichen Staates und seiner Organe, den Bürger vor sich selbst zu schützen andererseits sind mehr als nur amüsant zu lesen. Es ist eine – freilich verkürzte – Kulturgeschichte des Rausches, nicht der dumpfen Sauferei, auch wenn puritanisch-calvinistischen Lustverweigerer beides als Teufelszeug am liebsten verbieten würden, wie es in Teheran eigentlich auch verboten ist.
Die Verfeinerung der Sinne, des Geschmacks und die Intensivierung der Wahrnehmung – darum geht es. Gepflegter Rausch statt Komasaufen.
Ein im besten Sinne geistreiches Buch!
Oktober 2016, Originalausgabe.
gebunden, 256 Seiten.
Anaconda Verlag
ISBN: 9783730603925
€ 7,95 [D]
Populäre Wein-Irrtümer
Der Autor hat es mit seinem unterhaltsamen Bestseller-Büchlein über populäre Wein-Irrtümer nicht nur geschafft, ein wirklich “unterhaltsames Lexikon” zu schaffen, er räumt in der Tat mit ein paar antiquarischen Mythen und allerhand Scheinwahrheiten rund ums Thema Weingenuss auf.
Dass zuviel Wein auf Bier genauso wenig eine gute Idee ist, wie zuviel Bier auf Wein, aber beides ein plumper Reim, den außerhalb Deutschlands ohnehin keiner kennt mag noch recht bekannt sein, und ist nicht das Reparaturpils nach einer umfangreichen Weinprobe erst der krönende Abschluss? Bei der Keller- bzw. Lagertheorie über feuchte Korken bishin zu stehend gelagerten Flaschen und deren Versenkung in tiefen Gewässern gibt es nicht nur Erheiterndes, sondern durchaus auch Erhellendes für Weintrinker zu entdecken, ob Sie nun schon den ersten Kleinwagen versoffen haben oder sie sich noch im Stadium der gläubig und erfürchtig den Weinaposteln und ihren Evangelien huldigenden Weingenießer befinden.
Von A wie Alkohol bis Z wie Zucker und jede Menge Vergorenes und im besten Sinne Halbvergorenes dazwischen – das Lexikon lässt sich nicht nur genüsslich sebst schmöckern, sondern in Anbetracht des günstigen Preises auch wunderbar verschenken, nicht nur an geneigte Wein-Laien, sondern auch dem fortgeschrittenen Weinzahn zur geistigen Erbauung.
Vom Schöntrinken des Gegenübers bis hin zu den leidig verkorkten Korkverschlüssen, vom Schmecken, Riechen und theatralisch-zinoberhaftem Korkgeschnüffel – wer nichts weiß, muss alles glauben.
Marcus Reckewitz erhellt nicht nur das Wissen um Wein, Licht, Fässer, Holzschips und deren Wechselwirkungen in unterhaltsamer Weise, er schafft auch genügend fundierte Munition gegen die bierernsten Wein-Besserwisser, die mit großem Brimborium den Weingenuss zur exklusiven Wissenschaft erheben und ermöglicht einen
« barrierefreien Zugang in die nächste Vinothek ».
Dass etwa Alkohol auch beim Kochen zu erheblichen Teilen nicht nur in den Koch gelangt, sondern trotz eines Siedepunktes von 78°C auch in Promille-relevanten Quantitäten im Essen verbleibt, war mir durchaus neu. Die Silberlöffel-Theorie, die sich auch in gebildeten Kreisen erstaunlicherweise trotz ihres hochgradigen Unsinngehaltes noch immer hartnäckig hält, lässt er auf knapp über zwei Seiten zerplatzen wie Champagnerbläschen in der Hitze. Sein Rat ist jedenfalls auch der meine:
« Man sollte einen geöffneten Champagner einfach austrinken,
solange er kühl und frisch ist.
Ist ja keine Strafarbeit. »
Der Silberlöffel im Flaschenhals als Frischhaltemethode gehört jedenfalls ins Reich der Esotherik.
2017, 8. Auflage.
gebunden, 192 Seiten.
Anaconda Verlag
ISBN: 9783866478206
7,95 € [D] / gebundene Ausgabe
4,99 € / Kindle Version.
Vom Autor sind noch einige weitere kulinarische Veröffentlichungen erschienen, etwa „Champagner, Trüffel und Tatar“, „Von Absinth bis Zabaione – Wie Speisen und Getränke zu ihrem Namen kamen“, „Safran, Sushi und Prosecco“ oder auch „Verführung à la Carte. Berühmte Liebespaare und ihre Rezepte“.
Reckewitz lebt als Autor und freier Lektor in Bonn und Berlin.
Bilder: Anaconda Verlag