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Twin Peaks Season 3 – «Agentenaustausch»

Das Warten hat ein Ende.

Achtung! Spoiler!

[von Marc Herold, Experte und Liebhaber von gereiftem Riesling und Twin Peaks]. Mehr als 25 Jahre nach der Erstausstrahlung der ersten „Twin Peaks“-Staffel war es dann soweit. Das Sky-Abo funktionierte, der Kirschkuchen war gebacken, die Getränke kaltgestellt. Selten fieberte ich einer Serien-Fortsetung so entgegen wie hier, bei der dritten Staffel des Epos, des Werks des lange zögernden und tüftelnden David Lynch.

Alles beginnt erneut, die dunklen Wälder sollten erneut zum Schauplatz des Kampfes von Gut gegen Böse werden.

Die ersten Bilder erscheinen und wir fühlen uns sofort zuhause; Laura Palmer grüßt mehr als Erinnerung denn als konturscharfes Bild. Der Wasserfall, die Wälder, Nebel – die bekannte Musik trägt uns in zunächst wieder in die Black Lodge, doch schon im Anschluss daran landen wir an zunächst vollkommen ungewohnten Orten.
Eine Etage in einem New Yorker Hochhaus, vollgestopft mit Überwachungstechnik und Elektronik unklaren Zwecks scheint eine wichtige Rolle im neuen Twin Peaks-Universum einzunehmen. Schon nach wenigen Minuten wird klar, dass sich die Welt auch in der Vorstellung von Lynch/Frost weitergedreht hat.

The world has moved on.

Kyle MacLachlan in a still from Twin Peaks. Photo: Suzanne Tenner/SHOWTIME

Mittlerweile, nach den ersten sechs Episoden der dritten Staffel stellt sich die Situation  folgendermaßen da: Wie sich in der letzten Episode der zweiten Staffel bereits andeutete, gibt es Dale Cooper mittlerweile zweimal. Einmal als „bösen“ Cooper, und einmal als „guten“ Cooper. Die Konfrontation Coopers mit Bob und Windom Earl und Coopers Deal hat in der Tat für die Aufspaltung des FBI-Agenten in zwei unabhängig agierende Personen geführt. Die Vorstellung des „Doppelgängers“ durch den Mann von einem anderen Ort leitete den Prozess ein, an dessen Ende der „böse“ Cooper in die Welt außerhalb der Black Lodge zurück kehrt und der „gute“ Cooper immer noch im Warteraum der Lodge auf das verstreichen der 25 Jahresfrist wartet.

Cooper kann diesen Raum aber erst verlassen, wenn sein Doppelgänger wieder in die Black Lodge zurück kehrt. Durch Zuhilfenahme eines dritten „Doppelgängers“ des Versicherungsagenten (!) Dougie Jones gelingt es Cooper die Black Lodge zu verlassen und die Rollen mit dem Agenten, der an Coopers statt daraufhin im Warteraum eintrifft, zu tauschen.
Cooper findet sich in einer für ihn lange Zeit undeutbaren Welt des Glücksspiels und der Versicherungstätigkeit wieder. Er lebt nahezu unbeteiligt in einer Familie mit Kind irgendwo vor den Toren von Las Vegas.
In einem parallel erzählten Ereignisstrang erfahren wir, dass es in South Dakota einen weiteren Mord gegeben hat, an deren Aufklärung das FBI arbeitet.

Im dritten wesentlichen Erzählstrang erfahren wir, dass Denise Bryson mittlerweile Head of Staff beim FBI und damit Gordon Coles Vorgesetzter geworden ist. Cole und Rosenfield machen sich auf den Weg zum mittlerweile inhaftierten „bösen Cooper“.

Kyle MacLachlan in a still from Twin Peaks. Photo: Suzanne Tenner/SHOWTIME

Meanwhile in Twin Peaks

In Twin Peaks selbst arbeiten immer noch Andy und Lucy im Büro des Sherrifs, der mittlerweile nicht mehr Harry S. Truman sondern sein Bruder Frank ist. Hank, Lucy und Andy wirken aber seltsam neben sich stehend und unentschlossen zweifelnd.
Auch der Rest der bekannten Twin Peaks-Protagonisten wirkt beschädigt, oder zumindest noch skuriler, als in den ersten beiden Staffeln. Dr. Jacoby verkauft golden angesprühte Schaufeln, mit denen man sich aus seinem eigenen Mist schaufeln kann; Jerry Horn wirkt vollkommen irre und lebt eigentlich nur noch in seiner eigenen Welt aus Essen und Drogen (von denen Marihuana mittlerweile legal geworden ist). Alle wirken sie desorientiert und orientierungslos, wie die Gralsritter nach dem Weggang Parsifals.
Schon in den bislang ausgestrahlten sechs Episoden hat Lynch es aber trotz dieser Verfremdung der ohnehin schon fremd wirkenden Twin Peaks-Szenerie geschafft, eine Konstellation aufzubauen, die zum einen aus den bekannten Elementen, wie dem Sheriffs Office, dem „Double R“ oder der Black Lodge besteht, in der aber auch vollkommen neue Elemente dazu gekommen sind. Alljene, die gehofft hatten, einen mehr oder weniger unveränderten Dale Cooper auf der neuerlichen Jagd nach Bob zu begleiten und dabei Zeuge der klassischen Cooperizismen wie dem Trinken von verdammt gutem Kaffee bei gleichzeitigem Kuchengemampfe zu werden, wurden bislang schwer enttäuscht. Cooper ist momentan noch ein Schatten seiner Selbst, wie ein erduldender Mönch gleitet er durch das Geschehen und scheint erst wieder zu lernen, was es heißen könnte, den Übergang vom Versicherungsagent zum FBI-Agenten zu vollziehen.

 

Kimmy Robertson and Harry Goaz in a still from Twin Peaks. Photo: Suzanne Tenner/SHOWTIME

„It’s the economy, stupid“

 Die Rückkehr Coopers in die diesseitige Welt, ist dann auch für mich der bislang interessanteste Aspekt der neuen Episode. Bei seinem Wiedereintritt werden von Lynch gleich mehrere Aspekte verknüpft, die für die „Mechanik“ der Serie wichtig sind.

Zum ersten scheint die Black Lodge bei allem Mystizismus ein Ort von hoher Reguliertheit und Symmetrie zu sein.
Cooper kann das Wartezimmer nicht einfach verlassen und gegen Bob kämpfen, er muss darauf warten, bis seine böse Hälfte wieder in die Hütte eintritt. Da der dunkele Cooper dazu allem Anschein nach keine Lust hat, tritt ein anscheinend von langer Hand eingefädelter Plan B in Kraft. Der von einer höheren Macht, über die im Weiteren noch zu sprechen sein wird, hergestellte (im Original „manufactured“) Versicherungsagent Dougie Jones (Lynchs Sinn für „sprechende“ Namen kommt hier wieder zum Einsatz, man fühlt sich automatisch an Mr. Jones der Talking Heads erinnert) tauscht seinen Platz mit Cooper und landet so in der Black Lodge. Da er damit seinen Platzhalterdienst erfüllt hat, wird er „gelöscht“, alles was von ihm übrig bleibt ist ein erbsenstückgroßes Gold-Nugget. Hier werden zwei Dinge klar: In der Welt der Black Lodge herrscht nicht nur ein unbedingter Zwang zur Symmetrie, sondern auch eine Menschensicht, nach der Personal jederzeit vom Lenker der Hütte gegen materielle Werte wie Gold umgewandelt werden kann. Bezogen auf die Paradigmen der Serie begibt sich Lynch überspitzt gesagt, in eine Zeit, zu der die Golddeckung von Bretton Woods noch unumstößlich war.

Dieser Werteumwandlungsaspekt führt uns zu den ersten Handlungen Coopers in der „neuen Welt“. Zum einen scheint die Macht Bobs oder genereller der dunkelen Mächte immer noch stark von Begehren und Eifersüchten angezogen zu sein (Seeßlen hatte das schon für einige Stellen der ersten Staffel ausgeführt); folgerichtig erscheint Cooper genau nach dem vollzogenen Akt Jones‘ mit einer Prostituierten. Zum andern führt der erste Weg des neuen Coopers direkt in ein Spiel-Casino nach Las Vegas. Cooper erspielt hier mit 5 $ ein mittleres Vermögen indem er Münzen in die Spielautomaten wirft, die ihm von einer flammengleichen (Pfingst-) Symbol der Dark Lodge angezeigt werden. Dabei wirkt sein erster Einwurf einer Münze in die Slot Machine wie die Darreichung einer Hostie in einem christlichen Gottesdienst. Wir wohnen hier einer transzendierten Darstellung der finanz-kapitalistischen Urszene bei: Geld wird ohne Umwege durch Glauben in noch mehr Geld verwandelt. Das Casino fungiert hier als Sinnbild für die Börsen des Kapitalmarkts. Coopers erneute Menschwerdung findet demnach zunächst als Abbild des „Homo oeconomicus“ statt. Für diese Interpretation spricht auch, dass Dougie Jones in der Hütte nicht einfach zu Staub oder irgend einer anderen Materie zerfällt, sondern dass er praktisch die „Golddeckung“ für Coopers Gewinn zu sein scheint.

Der gute Cooper wird durch den Akt der Geldvermehrung, bei dem er auch seine erste „Jüngerin“ sammelt zu einer Art ambivalentem Heilsbringer. Er ist der, auf den seine in Twin Peaks zurückgebliebenen Jünger, auf Erlösung harrend, warten. In der Darstellung der Geldvermehrung im Casino erleben wir auch wieder diese seltsame Verschränkung von Bedeutung und Kitsch. Lynch schafft es hier meisterlich etwas klar und einfach zu zeigen und es gleichzeitig durch die Verfremdung aus dem übrigen Handlungsfluß herauszuheben und es eigentlich nicht zu zeigen. Cooper ist gleichzeitig anwesend als reinkarnierter Agent, als „Dougie Jones“ und als Kyle McLachlan, der versucht diese beiden Figuren zu spielen. In der Geldvermehrungssituation wird also nicht nur ein quasi-spiritueller Akt dargestellt, sondern auch die Art der Darstellung hat Parallelen zu Dreifaltigkeitsdarstellungen im Christentum.

Coopers „Geburt“ direkt nach dem Akt mit einer Prostituierten ist überdies ein weiteres schönes Beispiel für die doppelte Konnotiertung bei Lynch.
Der dritte Punkt, der neben Symmetrie und einer Art von merkwürdig verschränkter Kapital-Spiritualität beim erneute Erscheinen Coopers auffällt, ist sein Auftauchen an einem amerikanischem Nicht-Ort, nämlich einem in der Wüste gelegenen ortlosen Suburbia. Coopers Weg des Leidens führt ihn anscheinend aus den, im Zuge der Immobilienblase entstandenen leblosen Vororten der amerikanischen Metropolen in das Herz dessen, was für viele Amerikaner noch als Inbegriff der „american way of life“ gilt: Ein Ort, an dem es aussieht wie in den 50er Jahren, mit einer klar zuordenbaren Sozialstruktur, verdammt gutem Kaffee und idyllischer Natur. Auch wenn dieses Bild nur noch als teilentkernte Fassade aufrecht erhalten wird.

 „You can not meet the master, but you can thickle his creatures“

Die Welt der dritten Staffel von „Twin Peaks“ ist, wie nicht anders zu erwarten eine andere als vor 25 Jahren.
Das Seriengeschehen und damit der Kampf von Gut gegen Böse hat sich auf größere Teile der USA ausgebreitet. Gleichzeitig zeigt sich, dass die dunkele Macht hinter allem anscheinend untrennbar mit den Finanzflüssen verbunden ist. Auf der dunklen Seite scheint eine Kapitalisierung der Spiritualität stattgefunden zu haben, die selbst durch einen so vielseitig begabten Agenten wie Dale Cooper schwer zurückzudrehen sein wird. Schon jetzt finde ich aber, dass wir mit der neuen Staffel von „Twin Peaks“ eine der interessantesten Serienfortsetzung seit Jahren sehen können.
Ich bin sehr gespannt, wohin der Weg der beiden Coopers noch führen wird.Baccantus Shirts "wine with care"

Twin Peaks Season 3 auf Sky

Die 18-teilige Miniserie läuft in Deutschland und Österreich exklusiv auf Sky.
Gestartet wurde parallel zur US-Ausstrahlung in der Nacht vom 21. auf den 22.5. mit zwei Teilen hintereinander auf Sky On Demand, Sky Go und Sky Ticket.
Ab 25.5. um 20.15 Uhr ist TwinPeaks 3 wahlweise auch auf Deutsch auf Sky Atlantic HD zu sehen.

Bilder (c):
Die Film-Stills von Twin Peaks wurden uns freundlicherweise von der Sky Deutschland GmbH zur Verfügung gestellt,
Photos: Suzanne Tenner/SHOWTIME.