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Säure, Spitzenwein und Erste Lagen – Dirk Würtz im Gespräch

Heimische Spitzenweine finden in Deutschland nicht oder zumindest kaum statt, obwohl es in und außerhalb der VdP-Güter etliche Produzenten gibt, die herausragende Weine (und nicht ausschließlich Riesling!) auf die Flasche füllen. Selbst bei großen Empfängen oder staatstragenden Ereignissen greifen die Veranstalter häufig zu frz. Champagner und Chardonnay oder kredenzen den Gästen Weine aus deren Heimatländern.

Jüngst schrieb der Captain auf CaptainCork.com über das Phänomen der mangelhaften Nachfrage nach den heimischen Topweinen und fragte: warum ist dieser Wein nicht ausverkauft?

Wir sprachen mit Dirk Würtz, seines Zeichens Hans Dampf in allen Gassen der digitalen wie der physischen Weinwelt, sei es als Meisterblogger auf Wuertz-wein.de oder als Betreibsleiter beim VdP-Gut Balthasar Ress in Hattenheim im Rheingau, der sich hier in seinem Blog mit dem Problem mit dem „Spitzenwein“ befasst.

Baccantus: Dirk, es wird in letzter Zeit viel von Großen Gewächsen, Ersten Lagen und dem Problem ihrer adäquaten Rezeption im deutschen Weinmarkt, insbesondere bei den so genannten Normalo-Weintrinkern gesprochen und geschrieben. Mangelnde Wertschätzung Inland, überlange und unverständlichen Namen, schlechtes Image des deutschen Weines im Hochpreis-Segment – man hat viele Argumente gehört. Warum schaffen es manche trotzdem, in ihre großen Weine abzusetzen, andere müssen sie für Jahre in den Keller verbannen?

Dirk Würtz (DW): Der Hauptgrund ist natürlich, dass diese Weingüter absolute Spitzenweine aus absoluten Spitzenlagen produzieren, die außerhalb jeglicher Diskussion sind. Nehmen wir einmal das Weingut Keller als Beispiel. Da werden seit Jahren atemberaubende Weine produziert. Weine, die zu recht Kultstatus genießen. Gleiches gilt für zwei oder drei Dutzend andere Betriebe. In der Regel stimmt da alles. Die Qualität, das Marketing, manchmal auch das Nicht-Marketing – man denke da nur einmal an Egon Müller, der braucht kein Marketing. Und nicht zuletzt ist es oft auch so, dass die Menschen die hinter diesen Spitzengewächsen stehen, einfach ganz besondere Menschen sind.

Die Frage ist halt einfach die:
Wie viel deutschen „Spitzenwein“ verträgt der Markt, was ist überhaupt ein „Spitzenwein“?

Da sehe ich in den letzten Jahren eine gewisse Inflation. Und die tut allem Anschein nach nicht gut!

Baccantus: Nun habt ihr bei Balthasar Ress in den letzten Monaten im Wein-Web einiges an Furore erzeugt und einige eurer großen und größeren Lagenweine dem Wein Volk zur Verkostung geschickt, das Medienecho war sicherlich ein großer Erfolg. Social Media meets Crowd Tasting?

DW: Ja, das kann man sicher als Erfolg bezeichnen. Zumindest als kurzfristigen. Für uns stand aber ein ganz anderer Aspekt im Vordergrund. Wir wollten tatsächlich sehen, wie die Reaktion auf unsere Weine ganz unfiltriert ausfällt. Das Netz, insbesondere Facebook, ist ja schon ziemlich schonungslos was Meinung und Emotion angeht. Uns hat das Ganze tatsächlich sehr geholfen in dem schwierigen und steinigen Weg, den wir seit 2009 gehen. Wir konnten relativ schnell erkennen, dass die Weine nicht nur verkostet, sonderen auch getrunken werden. Und darum geht es ja am Ende.

Baccantus: Reden wir über Wein. Was macht der Jahrgang, was wird 2012 anders bei Balthasar Ress? Muss man mit bemerkenswerten Weine nicht heutzutage polarisieren, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden? Von Winning mit „Fass-Riesling“, um nur ein prominentes Beispiel zu nennen, ruft einerseits Begeisterungsstürme hervor, andererseits erfährt dieser, sagen wir ruhig Riesling-untypische Stil harsche Kritik.

DW: 2012 ist kein so wildes Jahr wie 2011. Die Weine stinken nicht ganz so extrem und der Riesling hat auf einmal wieder eine deutliche Säure. Zumindest im Basisbereich. Was die trockenen Lagenrieslinge angeht, haben wir unseren Weg gefunden. Da liegen einige ganz bemerkenswerte und außergewöhnliche Weine in den Fässern. Allesamt deutlich in ihrer Herkunft erkennbar. Unser Fokus war in 2012 die feinherben und restsüßen Weine, insbesondere die Kabinette.

Der klassische leichte, feinfruchtige und restsüße Kabinett ist für mich DER Rheingauer Wein schlechthin.
Auf dieses Thema haben wir uns extrem konzentriert und mit dem Schloss Reichartshausen und insbesondere dem Hattenheimer Schützenhaus zwei, wie ich finde, klassische Vertreter dieser Weinspezies hinbekommen. Glasklar, moderat im Alkohol, harmonische Restsüße und ausgestattet mit einen enormen Trinkfluss.

Baccantus: Seid Ihr nicht in einem Umstellungsprozess für den ganzen Betrieb in Richtung Bio?

DW: Ja, das hast Du richtig im Kopf. Wir sind in einer ziemlich großen und aufwendigen Umstellung. Wir nennen das aber nicht Bio oder Biodyn. Was wir anstreben ist ein geschlossener Betriebskreislauf, also die uralte Idee einer Kreislaufwirtschaft. Dazu gehört natürlich eine biologische Arbeitsweise, keine Frage. Aber am Ende des gesamten Umstellungsprozesses steht natürlich die Zertifizierung.
„Polarisieren“ kann sicherlich helfen, schafft aber unter Umständen auch Probleme. Es hilft in jedem Fall Aufmerksamkeit für die eigene Arbeit und damit auch für das Produkt zu generieren. Man muss halt eben immer nur authentisch bleiben, ansonsten hilft auf Dauer auch kein Polarisieren. Wobei ich ehrlich sagen muss, dass das Ganze natürlich auch immer ganz subjektiv ist. Was für die einen eine polarisierende Wirkung hat, ist für andere nicht der Rede wert. Nebenbei bemerkt, „Polarisieren“ heißt ja Gegensätze schaffen. Ich finde, das trifft auf Wein nicht wirklich zu. Zumindest nicht auf diese Art von Wein. Ein großer trockener Lagenwein kann gar nicht im Gegensatz zu etwas stehen. Er ist immer, vorausgesetzt er ist gelungen, der Ausdruck von etwas.

Baccantus: Braucht ein Nussbrunnen die Bezeichnung „Erste Lage“ oder steht er auch ohne für sich?

DW: Nein, braucht er nicht.

Baccantus: Auch das Spiel von Säure und Süße kann ja polarisieren. Trocken ist nicht überall wirklich trocken und in manchen deutschen Regionen wedelt recht fröhlich das Zuckerschwänzchen durchs Sortiment… Manch einer regt sich jedes Jahr wieder über die sogenannten Trockenen auf, andere meinen – egal, hauptsache es läuft und schmeckt. Bei Eurem 2012 „Von Unserm“ Riesling Trocken schreibst du von „Exakt 2 Gramm Restzucker und 8,7 Säure…“ – klingt knackig!

DW:  Ist knackig. Macht aber nichts, schmeckt gut. Ich muss dir ganz ehrlich sagen, dass mir persönlich diese Diskussion um „was ist trocken?“ relativ fremd ist mittlerweile. Ich sehe das ganz undogmatisch. So wie es am besten schmeckt, kommt es in die Flasche. Sind es zwei Gramm ist es klasse, sind es sechs Gramm ist es auch ok. Natürlich, und das steht völlig außer Frage, sollte „trocken“ auch „trocken“ sein. Über diesen Restzuckerschmuh a la „das ist international trocken“, lache ich seit beinahe Jahrzehnten. DAS erzähl mal einem Franzosen…

Baccantus: hab ich mal versucht und bin gescheitert 😉 Braucht Deutschland mehr große Namen bzw. „Leuchttürme der Winzerkunst“ oder sollte man sich aus Konsumentensicht freuen, dass man deutsche Spitzenweine oftmals für deutlich unter 50 € kaufen kann? Braucht es einen deutschen Tignanello oder Ornellaia?

DW: Wir haben diese Leuchttürme in jedem Gebiet, und hin und wieder kommt noch ein neuer hinzu. Ich freue mich über jeden neuen Leuchtturm. 50 Euro sind ziemlich viel Geld für eine Flasche Wein. Da muss tatsächlich alles stimmen.
Es wäre wünschenswert, wenn es viele Weine aus Deutschland gäbe, die diesen Preis erzielen könnten. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Zumindest, wenn es um trockenen Weine geht.

Als Konsument ist es natürlich sehr erfreulich, wenn diese Art von Wein irgendwie bezahlbar bleibt. Aber wie wir ja im Moment ganz gut sehen, sind selbst 30 Euro schon fast zu viel um dafür zu sorgen, dass der Wein schnell ab Weingut ausverkauft ist. Ich erlebe ganz oft, dass im Kopf des Winzers zuerst der Preis für den Wein feststeht und er sich erst danach Gedanken um das eigentliche Produkt macht.
Ich glaube, dass ist der falsche Weg. Wir sollten unbedingt aufhören, immer über Preise zu reden und uns zunächst um die Qualität und das Image der Weine kümmern. Die guten Preise kommen dann ganz von selbst.
Allerdings ist es auch extrem wichtig diese ganze „It-Weintrinker-Oberschicht“ endlich davon zu überzeugen, dass man deutsche Weine im Keller liegen haben muss! Für dieses Klientel brauchen wir dann schon Preise über 50 Euro…

Baccantus: Sollten deutsche Politiker mehr über deutschen Weinreben und diesen bei entsprechenden Anlässen auch ausschenken?

Hat Brüderle doch versagt??

DW: Das, mein lieber Stefan, ist ja eines meiner Lieblingsthemen, wie Du weißt. Es ist mir absolut unbegreiflich, dass das ÜBERHAUPT ein Thema sein kann.

Da hat nicht nur Herr Brüderle versagt, da hat beinahe die gesamte deutsche Politik versagt. Selbst eine ehemalige Weinkönigin, Frau Klöckner, ist nicht in der Lage etwas Sinnvolles zu diesem Thema beizutragen.

Es ist eine Schande, eine Katastrophe, ja nachgerade ein Albtraum, dass die deutsche Politik quasi zum deutschen Wein getragen werden muss.

Nicht alle, aber doch viele. Da werden italienische oder südafrikanische Weine zu offiziellen Anlässen ausgeschenkt. Absurd! Nichts gegen diese Weine aus diesen Ländern. Auch ich liebe und trinke sie. Aber doch nicht zum Empfang in der Staatskanzlei. Ich glaube es hackt! Und wenn ich mir überlege, wie viele, teilweise völlig irrsinnige Subventionen, in unsere Branche fließen, dann wird das Ganze noch absurder. Subventionen sind am Ende Steuergelder! Und das teilweise von Steuergelder unterstütze Produkt wird von denen, die sich immer neue Steuern ausdenken, nicht gekauft.
Im Gegenteil. Es werden „frische“ Steuergelder benutzt, um Wein aus woher auch immer zu kaufen… Alleine aufgrund dieses Aspekts, sollten diesen Typen die Finger abfaulen, wenn Sie noch einmal Wein ausschenken, der nicht aus einem deutschen Anbaugebiet stammt!
Ich weiß, das war sehr polemisch…

Baccantus: 😉 Vielen Dank für das Gespräch, Dirk – wir sehen uns auf der ProWein!

Fotos freundlicherweise von Balthasar Ress, Hattenheim.
Alle Rechte beachten!

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