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Naturwein – Versuch einer Annäherung

SocialWine-Blogger und Wein 2.0-Experte Matthias Metze stellt bei der  Weinrallye #30 die interessante Frage nach einer Neudefinition von „Naturwein“. Zu einem endgültigen Ergebnis lässt es sich schwerlich kommen, daher auch nur eine Art Annäherungsversuch.

Begrifflichkeiten

Naturwein ist bekanntermaßen nach historischer und bis zur Verabschiedung des Deutschen Weingesetzes von 1971 zulässiger Bezeichnung lediglich ein nicht mit Zucker angereicherter Wein. Dieser Ausdruck war bis zur Einführung der Prädikatsweine durch das Deutsche Weingesetz zugelassen. Soweit, so gut.
Kaum jemand wird jedoch heutzutage unter einem Naturwein einen Prädikatswein verstehen, eher schon einen „Biowein“ oder sonst ein Erzeugnis aus dem biologisch-organischem Weinbau.

Naturwein – Naturprodukt Wein?

„Ein guter Wein entsteht im Weinberg. Wein ist ein Naturprodukt.“

Wie oft hat man das schon gehört? Das steht bei fast jedem Winzer im Stammbuch und in jeder zweiten Weinbeschreibung, egal, wie tief industrielle und hoch technisierte Produktionsmethoden in Weinberg und Keller Einzug gehalten haben.

Fest steht: Wein ist in den meisten Fällen ein Massenprodukt aus einer Monokultur, die – mal ganz ohne Weinromantik und Weinseeligkeit gesagt – ganz massiv in Landschaft, Lebensräume und den Wasserhaushalt eingreift. Wer das nicht glauben will, der fahre mal mit offenen Augen durch die großen Weinregionen im Bordelais, Burgund und die flurbereinigten Weinregionen hierzulande.

Natürlich lassen sich Ausnahmen zuhauf finden, und das ist ja auch gut so… Motivationsgründe für eine Umstellung auf naturverträglicheren, ökologischen Weinbau gibt es genug.  Vom Ideologen mit teilweise radikalesoterischen und intoleranten Ansichten über den Pragmatiker, der seine Marktnische im Bereich LOHAS sucht bis hin zum Qualitätsfanatiker und Terroiristen …

Das sich maximale Bodenausbeute weder mit Qualitätsweinbau noch mit dem Gedanken eines nachhaltigen ökologischen Wirtschaftens verträgt, liegt auf der Hand. Ebensowenig darf aber auch der Winzer und seine Mitarbeiter ausgebeutet werden. Ich kann und will mir einfach keinen „Naturwein“ vorstellen für 2,49 €, der zwar zertifiziert ist, aber bei dem der Winzer nichts verdient oder seine Mitarbeiter illegal bzw. nicht sozialversichert beschäftigt.

Naturwein  – Weglassen von Chemie?

Ein neue Begrifflichkeit „Naturwein“ wäre meines Erachtens nach abzugrenzen vom Ökologischen Weinbau, auch wenn das trennscharf schwer möglich sein wird. Sie darf sich nicht auf eine Definition von verbotenen Substanzen im Weinberg und Keller, Spontanvergärung sowie biologisch aktiven Boden beschränken. Der Verband ECOVIN und andere haben für ökologisch erzeugte Weine ausreichend Grundlagen geschaffen.

Naturwein ist mehr

Oder weniger? Für mich ist ein Naturwein einer, der jenseits von Öko-Zertifizierungen (aber auch mit) nach bester Möglichkeit natürlich ist und soweit möglich auf weinfremde Zutaten verzichtet. Zertifizierungen und regelmäßige Kontrollen sind dabei allein schon aus Gründen des Verbraucherschutzes notwendig, ganz unabhängig von der Problematik einer eventuellen Verwässerung von Richtlinien bei ökologischen Lebensmitteln. (Neues EU-Bio-Label – anderes Thema!)

Dass dazu eine entsprechende Haltung gegenüber dem Ökosystem Weinberg mit Konsequenzen für Bodenarbeit, Verwendung von Pflanzenschutzmitteln etc. einhergeht, versteht sich von selbst. Ob bakterielle Starterkulturen und Reinzuchthefen Bio-würdig sind, mag dahinstehen, nach meiner Definition für einen „Naturwein“ sind sie jedenfalls entbehrlich. Es dürfte auch klar sein, dass der Verzicht auf moderne Möglichkeiten den Winzer nicht in seiner Existenz bedrohen darf und soll. Ziel muss auch bei einem Naturwein sein, das bestmögliche an Qualität und Charakter aus dem Weinberg herauszuholen, ohne diesen auszulaugen.
Unter Naturwein stelle ich mir ein Naturgewächs vor, das unverwechselbar ist und nach den Trauben und dem Weinberg schmeckt, aus der er hervorgegangen ist. Terroirprägung, sozusagen.

Was muss er haben, der Qualitäts-Naturwein, was nicht?

  • Naturnahe Produktion, ggf. kontrolliert ökologischer Weinbau in einem lebendigen,  artenreichen Ökosystem Weinberg.
  • Einklang von Rebe und Boden – Rebsorten, die zur Lage und Art der Weinberge passen, unabhängig von Modetrends
  • Selektive Handlese, radikale Mengenreduzierung, gesundes Lesegut
  • Geringstmöglicher Einsatz von Kupfer u.ä.
  • keine Aroma/ -Reinzuchthefen. Verwendung von kellereigenen bzw. weinbergseigenen  Hefen, Spontanvergärung
  • Je nach Weintyp möglichst gering- oder unfiltrierte Abfüllung
  • Verzicht auf intensive Kellerchemie wie Nährsalze, Vitamine, Schönungsmittel, Enzyme, chemische Entsäuerung oder künstlicher Säurezusatz
  • Verzicht auf Maischeerhitzung, Umkehrosmose etc.
  • Möglichst geringe Schwefelung
  • Keine Holzchips, Flakes, Stakes und auch keine neuen Barriques! Auch dies sind weinfremde, externe Aromen, also nicht weintypisch.
  • Möglichst wenig physikalische Eingriffe in Struktur und sortentypischen Gärungsablauf
  • was seine Zeit braucht, braucht seine Zeit… langsame, lange und kühle Gärung

Hier noch einige Winzer und Weine, die nach meinem obigen Verständnis Naturwein herstellen:

Château Pech-Redon

Das würzige Terroir der Garrigue in Flaschenform. Kräftige, eigenständige Weine mit hohem Wiedererkennungswert  und unglaublicher Aromenfülle vom höchsten Punkt des La Clape-Massifs bei Narbonne im Languedoc Roussillon. Bei den Geschöpfen von Christophe Bousquet meint man die einzelnen Kräuter herauszuschmecken, die rund um seine Reben wachsen.

Besonders empfehlenswert: Les Cades, l’Epervier, La Centaurée

Pech Redon, Christophe Bousquet, La Clape. Route de Gruissan 11100 Narbonne / Aude.  Tel : +33(0)468904122

Weingut Siglinger

Mit seinen ökologisch erzeugten Weinen kreiert Dr. Manfred Siglinger unverwechselbare schwäbische Naturgewächse .

Besonders empfehlenswert:
2008er Riesling** »Naturgewächs«, trocken
2007er Regent** »Naturgewächs«, trocken
2008er Spätburgunder*** »Naturgewächs«, trocken

Rebenstraße 21, 71384 Weinstadt-Großheppach,
Tel. 0 71 51/90 62 88, Fax 90 62 89

Weingut und Spezialitätenbrennerei Beurer

Immer wieder eine Offenbarung und jedes Jahr ein wenig anders, die spontanvergorenen Rieslinge von Jochen Beurer, Mitglied von www.junges-schwaben.de , und zwar schon bei der „Einstiegsklasse“, dem Gutswein.

2009er Riesling Gutswein, trocken , QbA
2008er Riesling, Stettener Pulvermächer, Kieselsandstein, trocken
2008er Riesling »Junges Schwaben«, trocken

Lange Straße 67, 71394 Kernen-Stetten,
Tel. 0 71 51/4 21 90, Fax 0 71 51/4 18 78

Colombaia

Dante Lomazzi baut auf seinem wunderschön gelegenen Weingut COLOMBAIA im colle val d’Elsa die einheimischen und typischen Sorten der Toskana an: Sangiovese, Colorino, Malvasia Nera , und Canaiolo. Auch ein paar Stöcke Trebbianno und Malvasia beherbergt der kleine Weinberg direkt beim Gut. Demeter– und IMC-zertifiziert widmen seine Frau und er sich handwerklich erzeugten organischen Weinen, wobei die Trauben nur kürzeste Wege zu ihrem Ziel zurücklegen müssen. Mitglied bei Renaissance de Terroir und der Association Vin naturel France.

Besonders empfehlenswert:
2008  COLOMBAIA Rosso Toscano IGT – Sangiovese, Colorino, Malvasia nera, Canaiolo
2009 COLOMBAIA BIANCO TOSCANA IGT – Trebbianno , Malvasia

Lomazzi, Colombaia, Colle val d’Elsa (SI), Italia –
tel +39 (0) 577-972835 fax +39 (0) 577-971081

Weingut Frank Brohl, Mosel

Frank und Jutta Brohl machen ökologisch erzeugte Rieslinge zum dahinschmelzen… mehr sag ich nicht, denn es gibt sicherlich nicht allzu viel 😉 Brohl war Gründungsmitglied von Oinos, einem Zusammenschluß ökologisch arbeitender Winzer an der Mosel, einem der Vorläufer von ECOVIN.

Besonders empfehlenswert:
2008er Pündericher Nonnengarten Riesling Spätlese ** trocken
2008 Riesling Spätlese** Alte Reben, trocken
2006 Beerenauslese, Pündericher Nonnengarten

Zum Rosenberg 2, D-56862 Pünderich/Mosel,
Tel 06542-22148 Fax 06542-1295

Hintergründe & zum Thema

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Ein Kommentar

  1. Ein toller Beitrag – du hast dir einige Gedanken zum Thema gemacht… vielen Dank!

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